Keine Sternstunde

Das Schweizer Fernsehen (SRF) ist mit einer Themenreihe zu Transgender gestartet. Das ist erfreulich und wichtig. Allerdings verlief der Auftakt in der Sendung „Sternstunde Religion“ nicht nur wenig kompetent, sondern reproduzierte Vorurteile und transfeindliche Positionen.

Von Hannes Rudolph (Autor) und Franziska Schutzbach (Co-Autorin)

Die Trans-Community hat sich vorsichtig gefreut, dass das SRF ab Ende Januar etliche Sendungen der Trans-Thematik widmet. Eine zweiteilige Dokumentation wurde eigens produziert, eine Doku über Transkinder importiert, eine Diskussion in der „Sternstunde Philosophie“ mit zwei Expert*innen aus der Trans-Community geplant (mit Hannes Rudolph und Myshelle Baeriswyl).

Eine weitere „Sternstunde“, nämlich die „Sternstunde Religion“, enthielt zwar keinen Hinweis auf das Thema Trans – kündigte aber ein verwandtes Thema an: „Kampfbegriff Gender“. Eingeladen waren Wilf Gasser, ein Psychiater, der Homosexualität für heilbar hält und Präsident der Schweizerischen Evangelischen Allianz ist (ein Zusammenschluss evangelikaler Christ*innen) und die Feministin und Theologin Ina Praetorius, deren wichtigste Arbeiten dem Differenzfeminismus zuzuordnen sind.

Sehr viel Interessantes hätte diskutiert werden können: Zum Beispiel, welche verschiedenen Begriffe und Konzepte von ‚Gender‘ es gibt, und auf welchen wissenschaftlichen Erkenntnissen sie beruhen (Judith Butlers Konzepte sind ja nur einige unter vielen). Man hätte entfalten können, inwiefern das Gender-Konzept zunächst einfach bedeutet, dass Geschlecht nicht nur eine biologische Angelegenheit ist, sondern auch sozial, kulturell und historisch geprägt ist. Dass also zum Beispiel ‚Frausein‘ im Mittelalter etwas ziemlich anderes bedeutete, als heute. Weiter hätte man besprechen können, wie Gender-Konzepte in den 1990er Jahren von der Gleichstellungspolitik aufgenommen wurden und Eingang in internationale (UNO) und nationale demokratische Institutionen fand (Gendermainstreaming). Und welche kontroversen Auseinandersetzungen es hier auch unter verschiedenen feministischen, wissenschaftlichen und politischen Strömungen gab.

Ferner hätte man diskutieren können, wie erzkonservative Katholiken aus dem Begriff ‚Gender‘ im letzten Jahrzehnt den negativen Begriff „Genderismus“ machten. Und zwar deshalb, um wichtige Forschungsergebnisse über fortbestehende Diskriminierungen von Frauen, Homosexuellen, Inter- und Transmenschen als Ideologie abzutun und folglich Gleichstellungsanstrengungen zu verhindern. Diskutiert werden können hätten auch die konkreten Ängste, die eine Dekonstruktion oder auch Pluralisierung von Gender und Geschlechterrollen offenbar mit sich bringen. Sowie die Instrumentalisierung dieser Ängste durch die neue Rechte, die Themen wie Sexualaufklärung, Masturbation, sexuelle und geschlechtliche Vielfalt aber auch Frauenemanzipation, Feminismus und nicht zuletzt die Gender Studies unter dem Begriff „Genderismus“ in einen Topf wirft, und für einen angeblichen gesellschaftlichen Zerfall verantwortlich macht. Und nicht zuletzt hätte besproche werden können, welche Positionen die Kirche(n) in diesen Diskussionen vertreten.

Transgender als die absurde ‚Blüte‘ von Gender?  

Nichts davon geschah. Stattdessen nahm die Diskussion einen Verlauf, der offenbarte, dass die beiden Diskutierenden nicht sonderlich viel darüber wussten, warum Gender zu einem Kampfbegriff geworden ist, und welche Vorwürfe von Freikirchen und rechten Katholiken gegen das Konzept ‚Gender‘ und Gendermainstreaming oder die Gender Studies gemacht werden. Und die mangels dieses Wissens beim Thema Trans* landeten, als ob Genderfragen auf Trans reduziert werden könnten oder umgekehrt. So wurde aus dieser „Sternstunde“ eine Trans-Diskussion, wo eigentlich eine Gender-Diskussion angekündigt war, und das eigentliche Problem: Es wurde eine Trans-Diskussion unter Leuten, die zu Trans gar keine ausgewiesenen Expertisen haben. Und zu Gender auch nicht, wie sich herausstellte.

Ina Praetorius eröffnete, indem sie Judith Butlers These, dass auch biologisches Geschlecht in gewisser Weise konstruiert und performt wird, durch eine flapsige Zusammenfassung als absurd hinstellte. Eine Position, der Wilf Gasser dankbar zustimmte. Hier fiel bereits das erste Mal das Wort „Transgender“, womit das Thema Gender und „Transgender“ mehr oder weniger gleichgesetzt wurden.

Praetorius und Gasser waren sich schnell einig – ohne Gender-Konzepte wirklich ausgefächert oder geklärt zu haben – dass die Natur zwei Geschlechter vorsehe und „das biologische Geschlecht“ festschreibe, ob jemand Mann oder Frau sei, und Biologie nicht dekonstruiert und in Frage gestellt werden könne. Und dass „Transgender“ ein Beispiel für Menschen sei, die das dennoch (also widernatürlich) tun. Damit waren bereits nach wenigen Minuten mehrere sachlich falsche Vorannahmen gesetzt, auf denen dann die gesamte Sendung aufbaute. Inklusive die Prämisse, Transgender sei die absurde ‚Blüte’ von Gender.

Zwei Menschen, die über keinerlei Expertise im Bereich „Transgender“ verfügen, diskutierten eine halbe Stunde auf SRF 1 über Trans. Zwei Menschen, die nicht akzeptieren, dass die Geschlechtswahrnehmung von trans Menschen valide ist, die Intergeschlechtlichkeit und Trans kaum auseinanderhalten konnten, geschweige denn Forschung zu diesen Bereichen kannten, oder, zumal es ja zentral um „das biologische Geschlecht“ ging, zu Bereichen wie Gendervarianz, Epigenetik und Hirnplastizität. Die Funktion des Themas „Transgender“ lag in der Diskussion darin zu zeigen, dass „Genderismus“ eine Ideologie ist, deren schlimmste Auswirkung die Leugnung von „biologischem Geschlecht“ ist. Mindestens vier Mal sagten die Diskutierenden sinngemäss: „Wir haben im Grunde kein Problem mit Vielfalt und neuen Rollenbildern – aber biologisches Geschlecht zu dekonstruieren ist absurd“. Als einziges Beispiel für diese Absurdität wurde das Thema „Transgender“ genannt. Ohne auch nur zu erwähnen, dass die Idee, dass Biologie kein Schicksal sein muss (Butler, Beauvoir und viele andere!) ein absolut zentraler Gedanke in der Geschichte des Feminismus und der Gendertheorien ist – auch völlig jenseits von der Transthematik.

In dieser merkwürdigen Fixierung der Diskussion auf Trans wurden des weiteren Positionen formuliert, die nicht anders als als trans-feindlich bezeichnet werden können. So durfte Wilf Gasser unwidersprochen die Körperwahrnehmung von trans Personen mit der verzerrten Körperwahrnehmung von Menschen mit Anorexie vergleichen. Er stellte die Identität von trans Menschen als etwas Vages und Unsicheres dar und sagte, dass er seinen Auftrag darin sähe, Leute von ihrer Wahrnehmung zu befreien. Wiederholt äusserte er, dass er nicht „daran glaube“, dass die „neue Identität“ (er meint das Leben entsprechend der eigenen Identität) eine sinnvolle Lösung für trans Menschen ist.

Pathologisierungen und Vorurteile

Wilf Gasser ist im Beruf Psychiater. Als Psychiater könnte er wissen, dass Trans im DSM V und in der ICD 11 nicht mehr im Bereich psychische Störung zu finden ist – weil es keine ist, insbesondere keine Identitätsstörung. Er könnte wissen, dass zahlreiche Studien belegen, dass die Geschlechtsidentität von trans Menschen nicht unsicherer ist als die von cis Personen, dass trans Menschen weder schlechter noch besser als cis Menschen wissen, wie sich „eine Frau fühlt“ oder zu fühlen hat (als gäbe es hier eine einheitliche Definition). Dass Transmenschen aber gleichwohl – wie cis Menschen – wissen, welches Geschlecht sie haben, dass jedoch das ihnen bei der Geburt zugeordnete Geschlecht nicht passt. Woher diese Gewissheit kommt, ist nicht bekannt. Bekannt ist jedoch, dass Versuche, diese innere Gewissheit weg zu therapieren ähnlich erfolglos sind wie Versuche, homo- oder bisexuelle Menschen heterosexuell zu machen. Gasser müsste nicht zuletzt wissen, dass reparative Therapien (Therapien, die eine „Heilung“ von Transidentität zum Ziel haben) als unethisch gelten und gegen die Menschenrechte verstossen.

Stattdessen erklärte Gasser nach einem Einspieler, in dem Hannes Rudolph – Autor dieser Zeilen – ausführt, was Geschlechtsidentität ist, tief seufzend („das nervt mich tierisch“) sein Problem mit trans Menschen: Er fände es absurd, dass jemand, der als Mann auf die Welt gekommen ist, behauptet, er fühle sich wie eine Frau. Erneut wurde Gassers Unkenntnis über trans deutlich, denn trans Menschen „behaupten“ wie gesagt keineswegs, sie „fühlten“ sich wie das andere Geschlecht. Sie wissen vielmehr, dass sie es sind.

Auch andere Halbwahrheiten, sachliche Fehler und Vorurteile wurden zum Besten gegeben: Ina Praetorius kritisierte trans Frauen dafür, dass sie ein Kleid und Schminke weiblich finden – ihr kam nicht in den Sinn, dass auch die meisten cis Frauen Kleid und Schminke als „weibliches Styling“ wahrnehmen. Und sie wusste offenkundig nicht, dass es trans Frauen gibt, die sich niemals schminken würden – und die deswegen jahrzehntelang von der Psychiatrie als nicht glaubwürdig trans wahrgenommen wurden. Wilf Gasser bezeichnete medizinische Behandlungen an Minderjährigen als illegal – ohne den Forschungsstand oder die Rechtslage zu kennen, und bezeichnete trans Personensogar als „körperlich vermurkst“. Auch kannte er die Studien nicht, die deutlich belegen, dass es trans Personen besser geht, wenn sie die medizinischen Massnahmen bekommen, die sie brauchen. Ferner verbreitete er den Mythos, trans Menschen seien nach erfolgter Geschlechtsangleichung meist suizidal.

Trotz aller Liebe zur geschlechtlichen Vielfalt, die Ina Praetorius etwas überzeugender vertrat als Wilf Gasser, war die Zweigeschlechtlichkeit ein zweiter Punkt, den beide Gäste nicht in Frage gestellt sehen wollten. Wenigstens bei dem Versuch, die Zahl intergeschlechtlicher Menschen kleinzureden (Praetorius: „eine ganz kleine Anzahl von Menschen“ – Gasser: „Ganz klein“. Gasser später: „Wirklich ganz wenige Fälle“), hat Moderator Norbert Bischofberger mit Zahlen gekontert. Auch sonst war Bischofberger anzumerken, dass er die Positionen seiner Gäste nicht teilte. Dennoch war die Hauptthese der Sendung: Trans Menschen leugnen ‚das biologische Geschlecht‘. Das biologische Geschlecht zu leugnen ist absurd und folglich „ganz klar ideologisch“ (Gasser). Folgerichtig sprach Gasser auch von „Transgenderismus“.

Sternstunde Stammtisch?

Wie konnte es passieren, dass in einer Sendung wie der „Sternstunde Religion“, die inhaltlich und intellektuell ein hohes Niveau anstrebt, unwidersprochen solche Positionen geäussert werden? Positionen, die trans Menschen psychopathologisieren, ihnen ihr Geschlecht absprechen, die die wissenschaftlichen Erkenntnisse der letzten Jahrzehnte leugnen und zur „Ideologie“ umdeuten? Sowohl Gasser als auch Praetorius erklärten bereitwillig, dass sie keine fachlichen Kenntnisse zum Thema Trans haben. Dennoch diskutierten sie darüber im öffentlich-rechtlichen Fernsehen mit dem Gestus der Expert*in.

Und sie taten es – pardon – wie am Stammtisch. Über trans Menschen wurde gesprochen, als versuchten sie etwas zu sein, was sie „biologisch“ nicht sind. Selbstverständlich wurde „Geschlechtsumwandlung“ statt „Geschlechtsangleichung“ gesagt, die Rede war von „Männern, die Frauen sein wollen“, Trans wurde als Wechsel und Identität als Gefühl oder gar als „Verunsicherung“ dargestellt, trans Frauen wurden als „Ex-Mann“ bezeichnet. So, wie eben Menschen über trans sprechen, die keine Ahnung von der Thematik haben. Es ist selbstverständlich in Ordnung, von einem Thema keine Ahnung zu haben. Unverständlich ist jedoch die Annahme, es sei in Ordnung, darüber in einer wichtigen, viel beachteten Sendung zu diskutieren.

Ein weiterer Unglücksfall war die Auswahl eines Einspielers aus der SRF-Doku „Das Geschlecht der Seele“. Gezeigt wurde ein Ausschnitt, in dem die Partnerin einer trans Frau befragt wird. Und zwar zu einem Zeitpunkt, zu dem ihr die Transition der Partnerin noch sichtlich Mühe macht. Sie misgendert ihre Frau durchgehend, in dem sie von ihr als „er“ und „ihm“ spricht und den „Verlust des Mannes“ bedauert (das ändert sich später). Dass der Moderator Norbert Bischofberger die betreffende Frau als Mann vorstellt („ein Mann, der sich als Frau fühlt“), ist leider auch nicht hilfreich. Wie viel wäre mit einem Doku-Einspieler zur erreichen gewesen, der eine trans Person zeigt, die respektiert, unterstützt und korrekt angesprochen wird!

Alles in allem war diese Sendung keine Sternstunde, sondern ein Tiefpunkt der Berichterstattung über Trans. Es ist, gerade in solchen Fällen, zentral, dass es eine Ombudsstelle gibt, bei der diese Art von Sendung beanstandet werden kann. Auf dass in Zukunft mit mehr Sensibilität vorgegangen wird und die Belange von Minderheiten besser und professioneller dargestellt werden.

Deshalb: #nonobillag

(am Sonntag wird in der „Sternstunde Philosophie“ ein 60-minütiges Gespräch mit Hannes Rudolph und Myshelle Baeriswyl ausgestrahlt, in dem einige der oben beschriebenen Punkte richtig gestellt werden. Wir möchten an dieser Stelle anmerken, dass wir die Bemühungen des SRF, ausführlich über die Transthematik zu berichten, sehr schätzen. Unsere Kritik bezieht sich auf die konkrete Sendung, nicht auf die gesamte Themenreihe).

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Hannes Rudolph ist Psychologe und Theaterregisseur und arbeitet in der Beratung von trans Menschen. Er ist Gründungsmitglied von Transgender Network Schweiz und Geschäftsführer des LGBTQ-Vereins HAZ. Er lebt in Zürich.