Rechtspopulismus und Rechtsextremismus lassen sich mit Argumenten nicht entkräften

Seit Jahren wird versucht, Rechtspopulisten argumentativ zu entlarven, sie wurden in Zeitungen interviewt, auf Bühnen gehoben und in Talk Shows eingeladen. Aber es ist offensichtlich: sie wurden argumentativ nicht entkräftet, sondern je mehr AfD und Konsorten zu sehen waren, desto mehr wurden sie gewählt.

Rechtspopulist_innen gewinnen ihre Sympathien nicht, weil niemand bessere Argumente formuliert hätte; Die besseren Argumente sind überall gegenwärtig, Rechtspopulisten wurden und werden permanent widerlegt. Trotzdem wurden und werden sie gewählt. Das legt den Schluss nahe: sie gewinnen Sympathien, weil sie irrationale und menschenfeindliche Positionen vertreten, und weil sie projektive Ängste schüren. Sie sind erfolgreich, weil sie Gefühle, nicht Argumente anbieten. Gefühle, die symbolische Selbst-Aufwertung durch rassistische Diskriminierung und die Ablehnung anderer beinhalten. Gefühle, die an die in der Gesellschaft weit verbreitete affektive „Ablehnungskultur“ (vgl. Bojadžijev/Opratko 2017) andocken und es ermöglichen, sich gegen alles zu richten, was als fremd und bedrohlich konstruiert wird.

Rechtspopulist_innen agieren nicht auf der Ebene von Argumenten, es geht ihnen nicht um den Austausch von Argumenten und Fakten, nicht um das Erreichen eines vernünftigen Konsens oder um Verständigung, sondern es geht ihnen um Diskurszerstörung, um maximale Provokation und das Schüren von Hass. Es geht ihnen nicht um Meinungsvielfalt, wie sie behaupten, sondern gerade um deren Einschränkung. Es geht ihnen darum, autoritäre Wahrheiten und Politiken durchzusetzen und den demokratischen Diskurs zu zerstören (über verbales Posing siehe auch Andreas Kemper).

Gegen die „Politik der Gefühle“ haben Argumente – das zeigt die sozialpsychologische Forschung – einen schweren Stand bis keine Chance. Menschen, die eine Affinität für Ressentiments haben (und das ist, siehe zum Beispiel die Studie von Wilhelm Heitmeyer, eine recht grosse Zahl), werden nach einer Talkrunde mit rechtspopulistischer Beteiligung auch angesichts der besten Gegenargumente keine relevanten Verschiebungen weg von ihren Positionen machen, sondern sich dadurch, dass ihre Vorurteile in der Öffentlichkeit ausgesprochen werden, bestätigt fühlen (sie dazu auch Floris Biskamp).

Rechtspopulist_innen können sich darauf verlassen, dass zahlreiche sich selbst überschätzende Argumentationslogiker daran festhalten, sie argumentativ entkräften zu können.

Weiter argumentiert Biskamp, dass «die öffentliche Argumentation gegen rechts sich zwar mitunter argumentationslogisch als valide erweisen kann, aber ein empirisches Publikum deswegen noch lange nicht effektiv überzeugen muss».

Kurzum: Rechtspopulist_innen können sich darauf verlassen, dass die dialogisch orientierte Gesellschaft und zahlreiche sich selbst überschätzende Argumentationslogiker daran festhalten, sie argumentativ entkräften zu können. Rechtspopulist_innen instrumentalisieren die dialogisch orientierte Gesellschaft, die weiterhin daran glaubt, dass das Verbreiten von rationalen Argumenten dem Verbreiten von Ressentiments überlegen sei.

Selbstverständlich ist es wichtig, Rechtspopulismus zu untersuchen und zu dekonstruieren, sich mit rechtsextremen und rechtspopulistischen Positionen und Strategien zu befassen, die Zunahme solcher Weltanschauungen zu kommentieren und zu analysieren. Dazu braucht es aber keine Gespräche mit rechten Strategen auf einer Bühne, keine Home Stories oder öffentlichen Interviews.

Rechtspopulisten und Rechtsextreme produzieren genug Material, das man analysieren kann. Es ist klar, was sie wollen. Wir haben keinerlei Erkenntnisgewinn, wenn wir die Produzentinnen solcher Ideologien auf eine Bühne holen und dort mit ihnen argumentieren. Wir werden nicht mehr erfahren, als wenn wir Expertinnen, Wissenschaftler, Betroffene von rechter Politik usw. zu Wort kommen lassen (siehe dazu Natascha Strobl und Marina Weisband „Mit Rechten Reden?“).

Nicht zuletzt werden rechte und rechtsextreme Ideologien und Weltanschauungen jetzt schon breit rezipiert, sie sind nicht, wie gern behauptet, an den Rand der Gesellschaft gedrängt. Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit kommt in breiten Teilen der Gesellschaft vor (siehe Heitmeyer).

Das Problem ist nicht, dass rechte Positionen zu wenig gehört werden. Es ist vielmehr ein affirmierender Diskurs, der Rechtspopulismus und Rechtsextremismus wieder gross und gesellschaftsfähig gemacht hat.

Das Problem ist also nicht, dass solche Positionen zu wenig gehört werden, zu wenig präsent oder gar stigmatisiert wären und sich Menschen deshalb radikalisieren. Es wurde und wird ihnen permanent zugehört, sie werden dauernd beachtet. Es ist nicht ihre Zurückweisung, sondern vielmehr ein Willkommensdiskurs, der Rechtsextremismus wieder gesellschaftsfähig gemacht hat.

Rechtspopulisten geht es darum, die Mitte der Gesellschaft zu radikalisieren. Das Sagbare und Denkbare nach rechts zu verschieben (siehe dazu mein Buch zur „Rhetorik der Rechten„). Um das zu erreichen, brauchen sie die massenmediale Öffentlichkeit. Massenmedien sind ihr allerwichtigstes Mittel, um ihre Botschaften zu verbreiten, Stimmen zu erhalten und ihre Positionen als legitime und „normale“ bürgerliche Meinung zu inszenieren.

Weiter nutzen sie mediale Bühnen, um sich als Opfer eben dieser Medien zu inszenieren. Je öfter bürgerliche Medien ihnen die Möglichkeit für dies Opfer-Inszenierung geben, desto mehr kommen sie unter Druck, diesen Vorwurf durch weitere „Einladungen“ zu entkräften.
Auch wenn Rechtspopulist_innen ständig auf den Medien als „Lügenpresse“ herumhacken – Fakt ist, dass sie ohne Massenmedien kaum Erfolg haben können. Deshalb ist es entscheidend, ihnen diese Bühnen zu nehmen und ihnen nur so viel Redezeit zu geben, wie demokratisch unbedingt nötig ist.
Wir sollten bei der Frage „mit Rechten reden“ klar unterscheiden zwischen privaten oder öffentlichen Situationen.
Und ja, man muss auf Rechte und Rechtsextreme zugehen, aber nicht auf Podien und Bühnen. Wir sollten bei der Frage „mit Rechten reden“ klar unterscheiden zwischen privaten oder öffentlichen Situationen (Natascha Strobl): Mit dem Onkel, der nach rechts driftet oder der Nachbarin müssen wir natürlich reden, wir müssen an die Menschen glauben, daran, dass sie ihre Meinung auch wieder ändern können (eine tolle Gesprächshilfe gegen rechts findet sich hier). Auch in der Sozial- oder Jugendarbeit müssen wir immer mit allen reden, an alle glauben, sie zurück zu holen versuchen.
Ob wir mit rechtspopulistischen Strategen auf einer Bühne reden, sollten wir uns aber gut überlegen.

Die Universität ist mit ihren jetzigen Strukturen nicht für Frauen* gemacht

Wissenschaft

Die Universität ist mit ihren jetzigen Strukturen nicht für Frauen* gemacht, nicht für queere Menschen und auch für viele Männer* des 21. Jahrhunderts nicht mehr. Und sie macht bisher kaum den Anschein, das zu ändern. Deshalb: Ob Helvetia oder Heidi – empört Euch!

Ein Gastbeitrag von Lea Dora Illmer

Womit fange ich an? Vielleicht damit: Frauen*1 sind nicht wütend, Frauen* sind hysterisch. Es schickt sich nicht, als Frau* wütend zu sein. Wir lernen es nicht, wir bekommen es nicht vorgelebt. Nur Feministinnen, nur „Emanzen“ sind wütend – so weit so gut. Es ist sie, die Wut, die einzige Emotion des Mannes*. Die einzige Emotion, die männlich* genug ist, von Männern* gefühlt zu werden. Männer* haben keinen Zugang zu ihren Gefühlen, ausser zur Wut, sagt der Berater im Männerbüro, das eigentlich eine Beratungsstelle ist, aber nicht so heisst. Weil Männer* sich nicht beraten lassen. Die Wut ist also männlich*, das verrät bereits ihre Konnotation: Wut gilt als machtvoll, Wut ist Herrschaft, Wut verursacht Gewalt. Wut ist nichts für Schwächlinge. Wut ist nichts für Mädchen*.

Was dabei vergessen wird, ist, dass Wut nicht nur zerstört. Blinde Wut ist zerstörerisch. Blinde Wut ist gefährlich. Aber nicht jede Wut ist blind. Manche Wut ist konstruktiv. Erbaulich. Es gibt Wut, die schöpferisch ist. Die Mut verleiht, das Unsagbare sagt, Konventionen sprengt. Es gibt Wut, die einen utopischen Charakter hat. Es gibt Wut, die verändern möchte, was untragbar ist. Und wenn Frauen* Wut abgesprochen wird, wird ihnen auch oder sogar insbesondere diese verändernde, politische Wut abgesprochen. Blinde, unreflektierte Wut steht ihnen zu, sie ist es, die beim „schwachen“ Geschlecht auftritt, einfach umgetauft wird in Hysterie und dann plötzlich dasteht als die einzige. Die einzige wutähnliche Erscheinung, die für Frauen* fühlbar ist.

Hysterie diente als Rechtfertigung, als „wissenschaftliches“ Argument dafür, dass Frauen* ausgeschlossen werden aus Wissenschaft, Politik, dem öffentlichem Leben.

Hysterie hat Tradition: Seit Aristoteles ist sie weiblich* konnotiert und insbesondere ab dem 19. Jahrhundert wird sie von weissen, männlichen* Ärzten bei Frauen* diagnostiziert. Sie dient als Rechtfertigung, als „wissenschaftliches“ Argument dafür, dass Frauen* ausgeschlossen werden aus Wissenschaft, Politik, dem öffentlichem Leben. Bezeichnet mensch heute Frauen* als hysterisch, reproduziert sie*er genau diesen Ausschluss – same shit, different century.

Helvetia hat allen Grund, wütend zu sein, sagt Franziska Schutzbach2. Denn in der Schweiz herrscht ein unwahrscheinlich hoher Konsensdruck – insbesondere für Frauen*. Die verklärte Geschichte der Nation, die sich nicht etwa aus einer Zufälligkeit wie eine gemeinsame Sprache zusammenfand, sondern uns in den Geschichtsbüchern als winzige Willensnation mit einem entsprechend starken Willen entgegentritt, verleiht der Schweiz einen Sonderstatus. Und jemensch, der diesen infrage stellt, gefährdet die heilige Harmonie. Bringt die heile Heimat ins Wanken. Vergessen wird dabei oft, dass es der männliche* Wille war, der in der Schweizer „Demokratie“ so einiges bestimmte – z. B. dass das Frauenstimmrecht national erst 1971 eingeführt wurde.

Es ist immer noch erschreckend oft der Fall, dass Frauen* für die Harmonie zuständig

Nun ist es immer noch erschreckend oft der Fall, dass Frauen* für die Harmonie zuständig und gleichzeitig von Männern* abhängig sind – also abhängig von ihrer Gunst, ihrem Wohlwollen. Aufzubegehren, wütend zu sein, für sich einzustehen bringt diese Gunst in Gefahr. Es ist weder besonders attraktiv noch lukrativ, diesen Konsens zu gefährden. Und es ist manchmal noch nicht einmal möglich. Trotzdem ist es notwendig. Und in ebendieser Notwendigkeit liegt auch die Wut, als schöpferische, utopische Kraft und als Antrieb für eine Gesellschaft, in der Mehrstimmigkeit anerkannt wird und einstimmiger Konsens einzig und allein für sexuelle Handlungen erzielt werden muss. Dort dafür undiskutabel und zu jedem denkbaren Zeitpunkt.

Wir haben allen Grund, wütend zu sein. Auch an der Universität. Vor allem an der Universität. Die akademische Welt hat eine besondere Verantwortung inne, weil sie ein Ort ist, an dem Wissen produziert wird. Sie ist ein Ort, an dem das entsteht, was gemeinhin als Wahrheit gilt. Allerdings gibt es Abstufungen, denn nicht jedes universitäre Wissen, nicht jede Erkenntnis aus jeder Disziplin gilt als wahr, gilt als berechtigt. Und genau hier, genau bei diesen Abstufungen und diesen Unterschieden, sind wir schon mittendrin.

Die akademische Welt hat eine besondere Verantwortung inne, weil sie ein Ort ist, an dem Wissen produziert wird.

Wer bestimmt, was als Wissen gilt? Wer definiert Wissenschaft? Wer produziert Wissen? Wer forscht, wer lehrt, wer zitiert wen? Und wer schweigt? Wird verschwiegen? Wer ist unsichtbar? Wen gibt es, und wen gibt es nicht? Was wir als wahr_nehmen, ist kein Zufall. Was wir wahrnehmen, ist erlernt, erprobt, eingeübt. Basiert auf dem, was wir für möglich halten. Auf unseren Vorstellungen, Werten, unserer Sprache. Wahrnehmung ist Übung, sagt Caroline Emcke. Und sie hat recht. Aber es ist schwierig, ihr genau zuzuhören, weil sogar das Magazin sie als meistgehasste Frau* Deutschlands betitelt. Ja, dieselbe Frau*, die ironischerweise ein Buch gegen den Hass geschrieben hat.

Frauen* sind noch nicht lange Teil des Wissenschaftsbetriebs. An der Universität Basel ist es Frauen* seit 1890 erlaubt, zu studieren. Der Grund für diesen vergleichsweise früh3 gewährten Zugang zur Universität ist neben liberalen Professoren* aus dem Ausland männliche* Gleichgültigkeit. Weshalb sollten sie denn überhaupt studieren wollen, durften sie danach doch sowieso kaum einen Beruf ausüben. Und als sie dann durften – gesetzt den Fall, dass ihre Ehemänner* dies per Unterschrift erlaubten – sanken die Löhne in nahezu jeder Branche, in die Frauen* eintraten.

Es ist kein Zufall, welche Berufe schlecht bezahlt sind und welche nicht. Es ist kein Zufall, wer wie viel verdient. Und es ist auch nicht einfach nur individuelle Verhandlungssache. Es hängt mit der Geschichte der Frauenarbeit zusammen und mit dem 19. Jahrhundert, mit der Erfindung des Bürgertums und der Ablösung der Ständegesellschaft – durch die binäre Geschlechterordnung. Es hängt damit zusammen, dass Frauenarbeit systematisch abgewertet wurde und wird, weil die Frau* lange nichts zu suchen hatte im öffentlichen Raum.

Was die Frau* zuhause tat,  galt nicht als Arbeit,

Lohnarbeit war Männersache, Frauen* waren und sind zuständig für den häuslichen Bereich. Weil seit der Aufklärung nichts mehr als gottgegeben galt, deswegen neu und vor allem „wissenschaftlich“ begründet werden musste und demnach biologisiert gehörte, wurde der Frau* ein für die Fürsorge und Care-Arbeit passendes Naturell auferlegt. Ihre weibliche* Natur bestand aus Emotionalität, Irrationalität, Anpassungsfähigkeit, Kreativität, Harmoniesucht und Fürsorge. Mit solch einem Wesen schien sie nicht für Arbeit ausserhalb des Hauses gemacht. Blöderweise galt aber nur diese Arbeit überhaupt als Arbeit, denn was die Frau* zuhause tat, nämlich ihrer natürlichen „Bestimmung“ zu folgen, war keine Arbeit, sondern pure Freude und Erfüllung – aus Liebe zur Familie. Und spätestens hier sind wir beim Kern des diesjährigen Frauen*streiks angelangt.

Der Volksglaube, Frauen* wären von Natur aus nicht wütend, zieht so einiges nach sich. Wann immer Frauen* entgegen der allgemeinen Annahme doch wütend werden und dies auch noch zu äussern wagen, lässt ein beschwichtigendes „Was wollt ihr denn noch?“ gefolgt von einem „Habt ihr wirklich immer noch nicht genug?“ nicht lange auf sich warten.

Es gibt keinen Grund zur Dankbarkeit für die gleichen Rechte und Bedingungen, die Männer* seit jeher geniessen.

Was einerseits Schuldgefühle verursachen soll und andererseits Dankbarkeit für das bisher Gewährte fordert, ist schierer Blödsinn. Erstens gibt es keinen Grund zur Dankbarkeit für die gleichen Rechte und Bedingungen, die Männer* seit jeher geniessen. Und schon gar nicht dafür, dass wir sie Jahrhunderte zu spät bekommen haben. Ich weigere mich, für das Frauenstimmrecht dankbar zu sein oder den Tag seiner Einführung zu feiern. Es ist kein Feiertag, es ist eine Schande. Aussagen wie die obig zitierten sollen dazu führen, dass wir klein beigeben.

Die Gefahr, dass eine Frau* zu viel verlangt, ist historisch betrachtet relativ klein.

Dass wir uns des Konsensdrucks, den wir für eine Sekunde vergessen haben, erinnern und den Mund halten. Dass wir aufhören aufzubegehren. Dass wir uns zu schämen beginnen, weil wir zu viel verlangt haben. Und hinterfragen, ob wir im Recht sind. Aber seien wir ehrlich: Wenn unsere weibliche* Sozialisation uns eines gelehrt hat, dann ist es, an uns selbst zu zweifeln. Die Gefahr, dass eine Frau* zu viel verlangt, ist historisch betrachtet relativ klein. Nicht immer begegnet uns dieser Widerstand gegen Feminismus in einem offensichtlichen Gewand. Ich staune immer wieder, wie wandelbar er ist. Obwohl es in meiner Disziplin, der Germanistik, eher altehrwürdig-traditionell zu und her geht, hat sich auch diese von gewissen Liberalisierungstendenzen mitreissen lassen. So ist es beispielsweise unterdessen mehr oder weniger akzeptiert, dass ich in einem x-beliebigen Linguistik-Seminar über geschlechtergerechte Sprache referieren darf – natürlich im überthematisch vorgegebenen Rahmen. Aber ohne erklären zu müssen, was das ist. Oder sagen wir: nur kurz. Mensch könnte also annehmen, dass ich dafür dankbar sein soll. Glaubt mir, ich war kurz davor. Doch dann – inmitten der Diskussion über die kognitive Verarbeitung unterschiedlicher Formen geschlechtergerechter Sprache fällt der Satz: „Das ist nun mal ein emotionales Thema.“

Die Zuschreibung „emotional“ nimmt einer Thematik noch immer ihre Relevanz, ihre Ernsthaftig- und Glaubwürdigkeit.

Wo ist das Problem? Das Problem ist: Jedes politische Thema ist emotional, aber nicht jedes wird so bezeichnet. Nur gewisse politische Themen wurden und werden als emotional oder übertrieben dargestellt – so auch das Frauenstimmrecht – das wir heute für selbstverständlich halten. Die Zuschreibung „emotional“ nimmt einer Thematik noch immer ihre Relevanz, ihre Ernsthaftig- und Glaubwürdigkeit. Die Zuschreibung verschleiert, dass es möglich ist, rein sachlich und argumentativ über gendergerechte Sprache zu diskutieren. Und das macht mich wütend.

Natürlich macht es mich wütend und natürlich ist Wut eine Emotion. Aber der Grund, wieso es mich wütend macht, ist nicht die Irrelevanz oder Subjektivität des Themas oder etwa meine Überempfindlichkeit aufgrund meines Geschlechts im Allgemeinen oder meiner Periode im Besonderen, sondern eine seit Jahrhunderten bestehende Ungerechtigkeit. Und: Ich bin davon betroffen. Im wortwörtlichen Sinn. Natürlich macht es mich wütend, in der Sprache unsichtbar zu sein und regelmässig aufs Neue meinem Gegenüber sachlich und ruhig erklären zu müssen, wieso wir Frauen* wirklich nicht per se mitgedacht sind. Und es macht mich noch viel wütender, von einem Menschen, der seit jeher mitgemeint ist zu hören, dass es doch wirklich Wichtigeres gibt. Die erste Schweizer Juristin wollte als Anwältin arbeiten und argumentierte dafür mit dem generischen Maskulinum. Vor dem Gesetz seien alle Bürger gleich – also auch sie, als Frau*, denn sie sei da ja wohl mitgemeint. Der Entscheid des Bundesgerichts: Ihre Forderung sei „Ebenso neu als kühn“. Sie wurde abgeschmettert.

Dahinzusagen, dass etwas ein emotionales Thema ist, wertet dieses noch immer ab. Das schlimmste daran: Es ist mir unmöglich, meine Wut in solchen Momenten zu zeigen, weil ich sonst von meinem Gegenüber nur wieder als „hysterische Frau“ wahrgenommen werde und in seinen Augen bestätige, was er möglicherweise noch damit sagen wollte: Gendergerechte Sprache ist das Problem von ein paar „hysterischen Frauen“. Einer Minderheit. Ist etwas ein „emotionales Thema“, dann geht es immer um „weibliche“ Emotionen: Hysterie, Trauer, Über-Sensibilität. Es geht nicht um Wut. Die Ungleichverteilung von Steuern oder die Wohnungsknappheit sind keine „emotionalen Themen“, sondern Themen von allgemeiner Relevanz, über die rational gesprochen werden kann. Realpolitik. Geschlechtergerechte Sprache und Toiletten hingegen: emotional, abgehoben, ideologisch. Dabei gibt es für mich nichts Funktionaleres als das Abörtchen. Und nichts Realpolitischeres als gleiche Löhne für gleiche Arbeit.

Philosophie von Frauen* wird fast immer und mit den unterschiedlichsten Gründen abgewertet.

Wir haben allen Grund, wütend zu sein. Auch in meiner zweiten Disziplin, der Philosophie. Hier ist seit jeher besonders deutlich das zu beobachten, was der Glaube an das „männliche Genie“ genannt werden kann. Margarete Stokowski4 beschreibt, wie sich männliche* Philosophiestudierende bereits nach einem Semester damit brüsten, schon immer Kantianer oder Stoiker gewesen zu sein. Und die Frauen*? Gehen das Ganze etwas selbstreflektierter an. Stokowski, erfolgreiche Masterabsolventin in der Philosophie, traut sich immer noch kaum zu sagen, sie sei Philosophin. Ein möglicher Grund für diese Diskrepanz ist ebendieser Glaube daran, dass das Fach ein natürliches Genie verlangt – und dieses ist „naturgemäss“ männlich*. Verstärkt wird diese Annahme durch den herrschenden Kanon, genau wie durch die mangelhafte Präsenz von Professorinnen*. Es kommt dazu, dass Philosophie von Frauen* fast immer und mit den unterschiedlichsten Gründen abgewertet wird. So auch bei uns in Basel: Emotionsphilosophie? Nicht ernst zu nehmen. Naturethik? Zu öko. Feministische Ethik? Irrelevant. Letztere kommt ja ausserdem schon in den Gender Studies vor und doppelt braucht’s das Zeug nun wirklich nicht. Es steht bisher noch in den Sternen, ob diese Meinung vielleicht revidiert wird, nachdem letztes Semester wirklich jedes einzelne Gender-Seminar hoffnungslos aus allen Nähten quoll.

Wir haben allen Grund, wütend zu sein. Warum gibt es keine Wickeltische in den Männerklos? Warum gibt es überhaupt keine Wickeltische, nirgends? Weswegen sind die universitären Krippenplätze knapp und das Jobsharing auf Professurenebene nahezu unmöglich? Warum haben fast keine Studierende* Kinder? Weswegen ist das Dozieren für Frauen* immer noch so unattraktiv? Weshalb gibt es keine geschlechtsneutralen Toiletten, auch wenn diese vielen das Sich-Erleichtern erleichtern würden? Warum werden immer noch Macht- und Abhängigkeitsstrukturen legitimiert und geschützt, die sexuelle Belästigung fördern? Warum werden Täter* geschützt, die ebendiese Machtstrukturen missbrauchen?
Sobald wir uns bewusst machen, dass die Universität von Männern* für Männer* gemacht wurde, welche – falls sie sich eine Familie wünschten – die gesamte unbezahlte Arbeit an ihre Hausfrauen* auslagerten und daher keinerlei Interesse an einem Privatleben haben mussten oder durften, wird einiges klarer.

Die Universität ist mit ihren jetzigen Strukturen nicht für uns gemacht. Nicht für Frauen*, nicht für queere Menschen und auch für viele Männer* des 21. Jahrhunderts nicht mehr.

Die Universität ist mit ihren jetzigen Strukturen nicht für uns gemacht. Nicht für Frauen*, nicht für queere Menschen und auch für viele Männer* des 21. Jahrhunderts nicht mehr. Nein. Und sie macht bisher kaum den Anschein, das zu ändern. Aus all diesen Gründen, liebe Mitmenschen, sind wir wütend. Und aus all diesen Gründen laden wir euch ein, mit uns zusammen wütend zu sein – am 14. Juni ab 11 Uhr auf dem Petersplatz.

Am 14. Juni findet der zweite nationale Frauen*streik statt. Auch an den Basler Hochschulen!
Mehr Infos und das Programm unter: https://www.facebook.com/FrauenstreikHochschulenBasel

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Lea Dora Illmer studiert Germanistik, Philosophie und Gender Studies an der Universität Basel und arbeitet als Hilfsassistentin für den Gendercampus in Bern. Ihre Schwerpunkte sind feministische Linguistik, Geschlechterforschung in der Literaturwissenschaft und Emotionsphilosophie. Seit sie keine Lust mehr hat, Diskurse nur theoretisch zu verhandeln, engagiert sie sich in der Kommission für Chancengleichheit und im Rahmen des Frauen*streiks in der AG Hochschulen Basel.

1 Ich verwende die Schreibweise Frau*, da es sich um eine konstruierte Kategorie handelt. Weiter sollen alle Menschen eingeschlossen sein, die sich als Frauen bezeichnen oder als solche gelesen werden. Das Gleiche gilt für Männer*.

2 Mit herzlichem Dank an Franziska Schutzbach für die Inspiration, die aus ihrer Rede an der Frauen*tagung in Aarau gewonnen wurde.

3 Im Vergleich mit anderen europäischen Ländern, nicht im nationalen. Zürich war hierzulande die Vorreiterin und Basel sogar denkbar spät dran.

4 Margarete Stokowski (2016): Untenrum frei.