Ich will Arsch schauen

Der Tagesanzeiger Stadtblog brachte heute eine Kolumne von Reda el Arbi, in der es um die Frage ging, ob eigentlich Männer Frauen in der Öffentlichkeit anschauen dürfen, wenn diese sexy gekleidet sind. Fazit: Ja, sie dürfen und ja, Frauen dürfen aber auch sagen, wenn sie das nervt. Blicke können unangenehm sein, aber so ist das nun mal, das biologisch-evolutionäre Programm werde bei Männern so abgespult, dass sie bei nackter Haut hinschauen (müssen). Dies sei nicht Ausdruck der Unterdrückung der Frau und auch kein Zeichen dafür, dass Frauen als Objekte betrachtet werden.

Nun, man möchte sich ja mit anderem befassen. Ich selbst möchte mich mit anderem befassen als mit provozierenden Kolumnen. Dennoch hier meine Einschätzung. Damit ist dann aber auch gut. Reda El Arbi fällt mit seiner opportunistischen Themensetzung zu Gender/Feminismus schon länger auf, Philippe Wampfler hat ausführlich mit ihm gestritten, das muss alles nicht wiederholt werden.

In seiner Kolumne jedenfalls schreibt El Arbi: Jeder habe das Recht, sich im öffentlichen Raum zu bewegen, ohne belästigt zu werden. „Aber Blicke gehören da nicht dazu. Sexuell motivierte Blicke sind nicht Ausdruck der Unterdrückung der Frau, sie sind Ausdruck des Menschen als sexuelles Wesen. Solche Blicke werden nicht vom Bewusstsein gesteuert, sondern kommen reflexartig und sind Teil des evolutionären Programmes.“

Niemand soll also belästigt werden. So weit, so einig. El Arbi legt dann aber nahe, es gäbe eine Art „neutrale“ Sexualität, eine, die sich jenseits von Machtverhältnissen abspiele – dazu gehören zum Beispiel Blicke. Dass es auch im „Blickverhalten“ Varianten gibt, schliesst er zwar nicht aus (auch er ist der Meinung, dass offensives Glotzen nicht angenehm ist), allerdings erkennt er darin keinerlei gesellschaftliche Schieflagen, sondern nur Effekte eines Fortpflanzungstriebes, bei dem Männer auf nackte Haut reagieren. Dass auch „Blicke“ als kulturelle Verhaltensweisen machtförmig sein können (nicht müssen), interessiert El Arbi nicht, dass auch Blicke Frauen zu Objekten machen können (aber nicht müssen), unterschlägt er.

Nicht jeder Blick ist sexistisch oder machtförmig. Darin stimme ich überein. Ich selber habe nicht grundsätzlich etwas dagegen, angeschaut zu werden. Es gibt viele Blicke, mit denen ich gut klar komme, die mir manchmal sogar schmeicheln. Viele Männer wissen ganz genau, wie das geht. Sie „glotzen“ nicht. Im Unterschied zu El Arbi habe ich offenbar eine bessere Meinung von Männern: Ich erfahre in der Regel respektvolle Blicke, die Gefallen ausdrücken, ohne zu objektivieren. Sowas geht, es ist überhaupt nicht schwierig. Und ja: Ich erlebe natürlich auch genau das andere: Blicke, bei denen ich mich unwohl und belästigt fühle.

El Arbi weigert sich, sich ernsthaft mit diesem Unterschied zu befassen. Und legitimiert damit, dass alle Blicke letztlich okay, ja gar notwendig sind, selbst dann, wenn sie objektivieren. Zwar darf Frau sich wehren, vom „Schauenden“ fordert El Arbi aber keine Reflexion. Anhand der Fortpflanzungs-Biologie behauptet er, diese Blicke seien eine Art männliches „Muss“. Damit weigert er sich erstens zu reflektieren, inwiefern auch Blicke Teil eines Machtregimes sein können (nicht müssen!), in dem es durchaus um die Objektivierung des weiblichen Körpers gehen kann (was nicht heisst, dass Frauen dann automatisch „Opfer“ sind). Zweitens reduziert er Sexualität auf ein rein heterosexuelles Projekt: Sexualität entspringe dem „Fortpflanzungsdruck“. Diese enge Sicht auf Sexualität macht es El Arbi möglich, ein Konstrukt aufzubauen, in dem Blicke nach einem neutralen und deshalb nicht-kritisierbaren Programm ablaufen, in dem Männer keine Akteure sind, sondern gesteuert durch die Notwendigkeit der Natur. Ein (gefährliches) Argument, mit dem sich letztlich jede Praxis legitimieren lässt.

Wer nun El Arbi widerspricht, und sei es nur ganz leise, landet sofort in der Moral-Ecke, Sexualität unterdrücken zu wollen. Solche Texte haben die Absicht, Kritiker_innen in eine Patt-Situation zu manövrieren. Ich habe in den vergangenen Jahren noch nie erlebt, dass mir in Diskussionen auf facebook von El Arbi nicht „sexuelle Prüderie“ oder Moralismus vorgeworfen worden wäre. Eine andere Stossrichtung der Diskussion war nie möglich, spätestens das zweite Argument war: ich wolle Sex verbieten und Frauen zu Opfern machen (oder so ähnlich).

Auch wenn El Arbi mir das nicht glaubt: Nein, ich will nicht Sex verbieten, verleugnen oder Blicke „unterdrücken“, wie El Arbi es den ‚moralistischen Feministinnen‘ – ich glaube das ist sein Lieblingsfeindbild – in Diskussionen unterstellt. Und ja: Blicke verletzen nicht auf die gleiche Weise die persönliche Freiheit, wie es (andere) Belästigungen, Sprüche oder Schlimmeres tun. Das heisst aber nicht, dass Blicke nicht auch objektivierend sein können. Vor allem dann, wenn sie überall sonst, aber nicht in die Augen gehen. In manchen Blicken schwingt eine sexistische Anspruchshaltung: ‚ich kann dich unverhohlen anglotzen, weil ich das Subjekt bin und du das Objekt‘.

El Arbi will sich auf eine solche Differenzierung aber nicht einlassen, denn für ihn steht fest: Sexuell motivierte Blicke sind Ausdruck des Menschen als sexuelles Wesen. Wer sich sexy kleidet, muss auch mit Blicken rechnen. Er schreibt: „Wir können nicht sexuelle Botschaften aussenden und erwarten, dass diese keine Reaktion hervorrufen. Solange die Reaktionen die persönliche Freiheit nicht verletzten, muss man damit leben. Und Blicke sind nicht verboten.“

Einmal abgesehen davon, dass auch dann gestarrt wird, wenn man mit einem Rollkragenpulli rumläuft: Natürlich sollen Blicke nicht verboten werden, aber sie können reflektiert werden, wie jede andere Handlung auch. Denn sie sind Teil von gesellschaftlichen Verhältnissen – wie jede andere Handlung auch. Genau das negiert El Arbi in seiner Argumentation.

Weiter argumentiert er, alle  Blicke seien letztlich deshalb ok, weil sie die „persönliche Freiheit“ nicht einschränken. Was El Arbi unter „persönlicher Freiheit“ versteht, scheint mir recht kurzsichtig. Bin ich dann frei, wenn ich grad nicht vergewaltigt werde? Kürzlich sass ich in einem Kaffee, es kam ein mittelalterlicher Mann herein, ich sass an meinem Laptop und schrieb. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie er sich direkt gegenüber von mir positionierte und mich dann taxierte. Er starrte in meinen (nicht sehr grossen) Ausschnitt, musterte mich unverhohlen. Ich nahm meine Sachen und setzte mich an einen anderen Platz, so dass zwischen mir und ihm eine Säule war. Der Mann aber lehnte sich einfach nach vorne und starrte an der Säule vorbei nach mir. Ich wurde wütend, und sagte, er solle aufhören. Worauf er entrüstet ausrief, das sei ja wohl eine Frechheit. Ich stand auf und ging. Was hätte ich anderes tun sollen? ich musste dringend einen Text abgeben, hatte keine Zeit für Auseinandersetzungen. Meine „persönliche Freiheit“ war zu gehen, obwohl ich eigentlich gern dort weiter gearbeitet hätte. Ich war also diejenige, die gehe musste, mein Bewegungsraum wurde durch die Blicke dieses Mannes direkt eingeschränkt.

Natürlich gibt es umgekehrte Situationen, in denen Männer sexistisch objektiviert werden. Auch Männer erfahren Sexismus. El Arbi schliesst seinen Text, indem er beschreibt, wie zwei Frauen über das Aussehen eines Mannes tuscheln. Aber was will er damit sagen? Dass für Frauen Alltagssexismus kein Problem mehr sei, da sich die Verhältnisse auch jederzeit umkehren liessen? Auch Männer erfahren Sexismus, aber dabei kann einfach nicht von einer gesellschaftlichen Gesamtdynamik gesprochen werden, oder von einer einfachen Umkehrung. Wenn Männer auf ihre Sexyness reduziert werden, geschieht dies vor einem anderen kulturhistorischen Hintergrund, das heisst ihr Subjektstatus steht dadurch als Gruppe nicht ernsthaft infrage.

Sowieso unterschlägt El Arbi die kulturhistorische Bedeutung des Blicks und reduziert ihn auf ein rein biologisches Programm. Wie Laura Mulvey in ihrer Filmtheorie gezeigt hat, ist der aktive Blick „männlich“. Das heisst in den meisten Filmen wird die Kamera gemäss einer androzentrischen Ordnung geführt, in der Männer den sehenden Part haben und Frauen den Part des gesehen werdens. Kurz: Männer schauen, Frauen werden geschaut. Das hat damit zu tun, dass historisch das Subjekt männlich konnotiert war: Mensch = Mann, Bürger = Mann (in der Schweiz durften Frauen erst ab den 1970er Jahren abstimmen). Natürlich hat sich seither vieles verändert. Aber ein Blick in die Popkultur zeigt bis heute, dass Frauen oft Ausstattung, Dekoration, Sexobjekt sind (was sogar El Arbi in seinem Text bestätigt). Frauen sind oft dazu da (zum Glück nicht immer), um angeschaut zu werden.

Das heisst noch lange nicht, dass Frauen, die sich in eine solche Position begeben und ihren Ausschnitt in die Kamera halten oder im Minirock herumlaufen per se „Opfer“ sind, oder Unterdrückte. Natürlich sind sie Akteurinnen, die auch eine freie Wahl oder einfach verschiedene Stile haben. Aber die sexistische Grundlogik, nach der wir in einem System leben, das einen grossen Teil seiner Dynamik daraus zieht, Weiblichkeit in der Objekt-Position zu halten, bleibt auch dann bestehen, wenn Frauen diese Dinge freiwillig tun und damit manchmal gut Geld verdienen. Die Grundlogik zeigt sich auch in manchen (sexuellen) Impulsen von Individuen. Dass sexuell intendierte Blicke davon ausgenommen und von kritischen Reflexion ausgeschlossen sein sollen, will mir einfach nicht einleuchten.

In einem weiteren, ziemlich raffinierten Schritt, stellt El Arbi das Nachdenken über sexuelle Impulse unter Scharia-Verdacht. Er schreibt: „Wenn wir gegen diese urmenschlichen, sexuellen Impulse vorgehen, verleugnen wir nicht nur unsere Natur, wir bewegen uns (…) auf dem gleichen Pfad wie die islamistischen Sittenwächter (…).“ El Arbi verwendet hier klassisches populistisches Derailing: er trivialisiert ein Thema (Sexismus im Alltag) indem er es in eine völlig andere Richtung lenkt und die grösste vorstellbare Horror-Vision aufbaut: Terror. Wer jetzt noch über Blicke als potentiell machtförmige Alltagspraxen nachdenkt, ist schon so gut wie bei der Terrormiliz.

Diese Diskursstrategie wurde hundertfach benutzt in der Rhetorik gegen Political Correctness. Aus dem PC-Bashing erfolgt meistens eine Opfer-Täter-Umkehrung, bei der plötzlich diejenigen die „Opfer“ sind – Opfer der bösen PC-Diktatur – die vergewaltigen, rassistische Sprüche machen, oder eben gern nackte Haut „schauen wollen“, ohne sich mit der nervigen Frage befassen zu müssen, wie Blicke eigentlich wirken.

Ich werde insgesamt den Eindruck nicht los – auch bei der Lektüre anderer Texte von El Arbi –  dass diese Texte vor allem eines im Sinn haben: Reaktionen zu provozieren (wie jetzt meine), denen dann genau das unterstellt werden kann: Politisch korrekte Moral-Wächter zu sein. Deswegen lohnen sich weitere Auseinandersetzungen für mich auch nicht.

Vielleicht noch dies: Wenn ich der Meinung bin, auch sexuell intendierte Blicke seien unterschiedlicher Art und müssten diskutiert werden, dann heisst das natürlich nicht, dass ich sexuelle Impulse allgemein unterdrücken will. Für mich bedeutet in einer Demokratie zu leben aber, dass alles, ausnahmslos alles verhandelbar ist. Auch Blicke. Auch Biologie. So zu tun, als gäbe es Felder, die jenseits von gesellschaftlichen Verhältnissen einfach „so sind“, wie sie sind, und zu unterstellen, darauf hätten Menschen keinen Einfluss, ist historisch wie aktuell falsch. Das Argument, es sei einfach Biologie, hat man schon vor 200 Jahren gebracht, als die Vagina noch als ein nach innen gestülpter Penis definiert war und Frauen folglich als „minderwertige Männer“.

Wie wir Biologie einschätzen, sie kulturell integrieren, mit ihr umgehen, ist variabel, veränderbar und liegt – ein Stück weit – in unserer Macht. Wenn das nicht so wäre, würden wir es heute noch gemäss der Alt-griechischen Kultur notwendig finden, dass erwachsene Männer kleine Jungs verführen, oder wir würden heute noch mit der Gebärfähigkeit von Frauen deren politische Ungleichheit begründen.

Wir sind nicht irr

Rückwirkend sagen alle: Vor 60 Jahren, da war es für Frauen, LGBTQ und people of color schlimm. Frauen hatten in der Schweiz noch nicht mal das Stimmrecht. Das war Diskriminierung. Klar. Oder Rassismus, der war krass, damals in Amerika. Und erst Antisemitismus! Es ist leicht, das alles rückwirkend festzustellen. Und es wurde hundertfach erwiesen und festgestellt.

Aber man hat auch damals schon, z.B. 1960, die Leute befragt: Gibt es Ungleichheit? Diskriminierung von Frauen, LGBTQ, Schwarzen Menschen? Die Mehrheit fand damals: nein, alles ok, es gibt keine Diskriminierung. 80 bis 90 Prozent (!!) der weissen Mehrheitsgesellschaft waren 1960 in US-Umfragen der Meinung, Schwarze würden nicht diskriminiert.

Auch heute werden die Leut befragt: Vor kurzem ist die neue Leipziger Mitte-Studie für Deutschland erschienen, in der die Hälfte aller Befragten fortbestehende Diskriminierung und Marginalisierung von Frauen leugnet.

Kurz gesagt: In jeder Generation behauptet die Mehrheit der herrschenden Gruppe: Es gibt kein Problem, keine Diskriminierung. Und immer – bisher ohne Ausnahme – lag sie, rückwirkend gesehen, falsch. In jeder Generation haben people of color, Frauen und LGBTQ gesagt: DOCH, ES GIBT EIN PROBLEM! Und immer hatten sie – rückwirkend gesehen und ohne Ausnahme – recht.

Die Frage ist also: Kann es wirklich sein, dass diejenigen, die in der Geschichte bisher immer recht hatten, heute plötzlich vollkommen irr geworden sind? Plötzlich unfähig sein sollen, die Verhältnisse klar zu sehen? Und warum sollen diejenigen, die bisher nie, niemals recht hatten in der Geschichte, heute plötzlich die Klügeren sein?

Zum nationalen Tag des Herdes

Am Freitag den 10. Juni haben in der Schweiz zahlreiche Menschen unter dem Hashtag #srfarena gegen die steinzeitlich konzipierte TV-Sendung „Arena“ mit dem Thema „Frauen am Herd?“ protestiert.

Facebook und die Schweizer Twitterlandschaft wurden stundenlang mit Herdbildern, Kochtöpfen, Anfragen zu Rezepten, glücklichen Hausfrauen oder solidarischen Männern am oder im Herd geflutet. Eine kleine Statistik zeigt, dass „der nationale Tag des Herdes“ – wie er von manchen ausgerufen wurde – in den sozialen Medien sogar noch vor dem EM-Start lag.

Mit der humoristischen Aktion wurde auch deutlich gemacht, dass frau_man über die in der Sendung gestellten Fragen („Sollen Mütter arbeiten?“, „Sind Frauen wegen mangelnder Krippenplätze heute noch benachteiligt?“) einfach nicht mehr ernsthaft diskutieren mag. Das Framing der Vereinbarkeitsthematik als ein ‚frauenspezifisches Problem‘ wurde als vollkommen rückschrittlich und lächerlich empfunden. Und so wurden Heim und Herd kurzerhand zum ironischen Motto des Tages: Ihr wollt Herd? Wir geben euch Herd!

Dass manche dabei zu kreativen Hochtouren aufliefen, kann in der folgenden „Galerie der Herdologie“ bewundert werden. Deutlich wird nicht zuletzt – auch wenn es gegenüber der Aktion einige kritische Stimmen gab – dass die reaktionär anmutende Arena-Konzeption zum Glück nicht den Stand der Geschlechterdebatte in der Schweiz repräsentiert.

Die Auswahl wird laufend ergänzt, bitte schickt Eure Perlen – eigene und die von anderen – oder postet sie als Kommentar, ich habe längst nicht alles mitbekommen.

Diashow:

Diese Diashow benötigt JavaScript.

Galerie:

Arena vorbei. Wir hatten Fun – und mehr

herdUnter dem Hashtag #srfarena haben seit Donnerstag viele Menschen in der Schweiz gegen die steinzeitlich konzipierte TV-Sendung „Arena“ zum Thema „Frauen am Herd?“ protestiert.

Facebook und die Schweizer Twitterlandschaft wurden während zwei Tagen mit ironischen Herdbildern, Anfragen zu Rezepten, glücklichen Hausfrauen oder solidarischen Männern am oder im Herd geflutet. Eine kleine Statistik zeigt, dass „der nationale Tag des Herdes“ – wie er von manchen ausgerufen wurde – in den sozialen Medien sogar noch vor dem EM-Start lag.

Yes we had Fun! (Siehe „Galerie der Herdologie“)

Nun höre und lese ich von verschiedener Seite, dass diese „Aufmerksamkeit“ doch gerade das erklärte Ziel des Schweizer Fernsehen sei, schliesslich gehe es diesem um Traffic, um Klicks, SRF würde nun weiterhin oder jetzt erst recht solche dümmlichen Sendungen produzieren. Bei „Watson“ zum Beispiel heisst es, die Kritik sei „beste Werbung für Projer“ (das ist der Moderator).

Ich finde den Einwand berechtigt und auch richtig. Mit dem Dilemma, dass Kritik gerade jene ins Zentrum der Aufmerksamkeit rückt, die man kritisiert, haben wir immer wieder zu tun. Gleichzeitig denke ich, dass der Effekt der gestrigen Hashtag-Aktion nicht einseitig an dieser Frage gemessen werden kann: Genauso und sogar gleichzeitig kann eine solche Aktion eben auch ‚richtige‘, wichtige Wirkungsweisen haben.

Ja, vielleicht wurde SRF bestärkt, weiterhin polemischen Blödsinn zu machen. Daneben gab es aber auch den Effekt, dass viele Menschen in der Schweiz wieder zu feministischen Anliegen öffentlich Stellung bezogen, dass wir erfahren haben, dass das geht. Es wurden Menschen zum nachdenken und diskutieren angeregt. Wer weiss, was für Bündnisse sich dabei ergeben haben, welche Prozesse des Umdenkens, überhaupt des Denkens und weiteren Diskutierens, welche nachfolgenden Aktionen und Forderungen daraus entstehen.

Zudem ist SRF kein einheitlicher Koloss, es sind Menschen, die dort arbeiten, Individuen. Einzelne werden dort vielleicht aufgrund der Kritik etwas ausrichten, die Kritik hineintragen, sie ernst nehmen. Ich kenne eine ganze Reihe Leute, die bei SRF oder überhaupt in den Medien arbeiten, die ganz sicher nicht einfach nur Traffic wollen, denen es um Inhalte geht. Zu unterstellen, solche Kritik stosse auf einen gigantischen Kommerz-Riesen, der nur gemäss einer rein ökonomischen Logik agiere und alles sofort kommerziell vereinnahme, finde ich nicht nur einseitig, sondern für die Individuen, die diese Kritik formulieren oder teilen auch ziemlich entmündigend.

Und after all: Auch wenn wir „nur“ Profilbildli geändert und Rezepte getwittert haben, also Symbolpolitik betrieben haben: Symbolpolitik braucht es – genauso wie strukturelle Veränderungen!  Ohne jahrelange Symbolpolitik, das heisst ohne die Kritik an Werten, Idealen, Ideologien, medialen und kulturellen Darstellungen und Repräsentationen usw. wäre strukturelle Veränderung wohl kaum möglich. Die Änderung eines Gesetzes zum Beispiel passiert nicht von heute auf morgen, sondern bedarf oft wiederholter, jahrzehntelanger Arbeit an der Alltagskultur (zu der zum Beispiel Medienprodukte gehören). In den Köpfen der Menschen muss sich etwas verändern, damit konkrete politisch Schritte möglich sind.

Ich halte deshalb die Unterscheidung zwischen „das hier ist echte und konkrete Politik“ versus „das hier ist nur Symbolpolitik“ für problematisch. Diese Unterscheidung führt zu unnötigen Spaltungen zwischen unterschiedlichen Akteur_innen. Es braucht Politik auf ganz verschiedenen Ebenen. Es gibt nicht das eine richtig Handeln oder den einen richtigen Ort des Kampfes.

Das Problem mit der zu vielen Aufmerksamkeit für „Arena“ ist real. Aber ich möchte aus diesem Grund nicht darauf verzichten, weiterhin Kritik an medialen Fehltritten zu formulieren. Dabei ist Kritik an Medien-Erzeugnissen nur ein kleiner Teil, natürlich geht es um tiefliegende Probleme, müssen die Diskussionen weiter  gehen, natürlich ist nicht die „Arena“ selbst das Haupt-Problem, Medien sind Symptom (aber auch Verstärker) gesellschaftlicher Ordnungen.

Es gibt keinen richtigen Prostest im falschen System. Alle Handlungen können immer auch „falsche“ Effekte haben, sich in ihr Gegenteil verwandeln. Ich persönliche halte aber weniger die Frage „wie reagieren die Gegner?“ für entscheidend, wichtiger erscheinen mir Fragen nach ‚innen‘, zum Beispiel: Was, wenn weisse bzw. westliche Frauen* ihre Definitionen von „Feminismus“ machtvoll durchsetzen und andere Frauen* zum Schweigen bringen? Über solche „Falschigkeiten“ oder Effekte muss kontinuierlich reflektiert und gestritten werden  – dafür gilt es, Energie aufzuwenden. Denn auch feministische Argumentationen und Politiken sind nicht frei von Machtverhältnissen.

Meine Handlungsweisen daran zu bemessen, welche Effekte sie eventuell beim „Gegner“ haben, möchte ich lieber nicht. Natürlich kann man darüber diskutieren und nachdenken. Aber ich möchte diese Frage sicher nicht als präventiven Massstab meiner Freiheit verinnerlichen.

 

 

 

 

Wer will Chefin sein?

Die Italienische Philosophin Luisa Muraro schreibt in dem Sammelband des Diotima-Kollektivs „Jenseits der Gleichheit“, dass die gesellschaftliche Unsichtbarkeit der Frauen* nicht nur eine Folge von Ausschlüssen oder Unterdrückung sei, sondern sich darin womöglich auch deren Wille und Entscheidung spiegle, sich nicht in den so genannten Zentren der Macht aufzuhalten. Anders gesagt: Frauen* sind seltener in den Zentren der Macht anzutreffen, weil sie erstens etwas anderes tun, und zweitens vielleicht dort nicht sein wollen.

Eine solche Perspektive ist natürlich gewagt angesichts der verbreiteten (oft männlichen) Narration, Frauen* wollten nun mal keine Führungspositionen, oder man habe eben keine Frau* gefunden, die in der Talkshow mitreden wolle. Ergo seien sie selbst Schuld an ihrer fortbestehenden Marginalisierung. Dass eine solche Narration letztlich den Status Quo der fortbestehenden Unter-Repräsentanz von Frauen* in Kauf nimmt und das Thema auf diese Weise für sich abhakt, ist offensichtlich: Es kann weiterhin so getan werden, als ob die vorherrschenden Verhältnisse nicht nur unveränderbar, sondern auch richtig wären.

Den Italienerinnen und anderen Denkerinnen geht es aber um etwas anderes: Wenn Frauen* (oder andere minorisierte Menschen) in den Zentren der Macht nicht nur nicht sein können, sondern dort auch nicht sein wollen, ist es vielleicht dort schlicht nicht attraktiv, nicht sinnvoll, nicht konstruktiv. Die angeblichen Zentren der Macht sind offenbar Orte, an denen Frauen* nicht das Gefühl und das Bedürfnis haben, etwas ausrichten oder beitragen zu wollen.

Wer es wirklich ernst meint mit der Inklusion – weil eine Diskussionsrunde, eine Redaktion, eine Universität oder ein Parlament ohne Frauen* weder sachgerecht noch vollständig sein kann – müsste also darin investieren, die Bedingungen und den Rahmen auf eine Weise anzupassen, dass auch Frauen* (oder andere minorisierte Menschen) etwas beitragen können und wollen.

Anders gesagt müssen sich die Orte der Macht den Bedürfnissen und Potentialen von Frauen* anpassen, anstatt dauernd einzufordern, Frauen* sollten mehr Durchsetzungs-Skills o.ä. erwerben.

(Danke an Antje Schrupp, und Dorothee Markert, durch deren Arbeit (zum Bsp. Übersetzungen und diverse Blogs) ich die Differenz-Philosophie immer wieder neu entdecke)