Die Aversion gegen Frauen ist in der Schweiz hausgemacht

Kurze Notiz zu Aversionen gegen Frauen, Tamara Funinciello, 50 Jahre Frauenstimmrecht, Schweizer Stil

In der Schweiz sitzen Aversionen gegenüber Frauen historisch tiefer als anderswo. Deutlich wird das zum Beispiel an der Geschichte des Frauenstimmrechts: Bis heute wurde nicht wirklich anerkannt, dass die im Vergleich zu anderen Ländern extrem späte Einführung dieses Rechts ein historisches Unrecht ist. Und dass diese späte Einführung mit ein Grund ist, dass wir gleichstellungspolitisch in der Schweiz bis heute deutlich hinterher hinken. Bisher gab es keine offizielle Entschuldigung der Schweiz dafür, dass man Frauen so lange die Mitbestimmung verweigerte, dafür, dass die Schweiz bis 1971 keine wirkliche Demokratie war, da sie der Hälfte der Menschen untersagte, mitzureden (auch heute wird vielen Menschen  mit so genanntem Migrationshintergrund dieses Recht noch verweigert).

Bis heute gesteht man in der Schweiz nicht ein, dass das viel zu späte Frauenstimmrecht, diese zutiefst erschütternde Geschichte, dieser unfassbare Affront ein zentraler Grund ist, weshalb wir Frauenpolitisch hinter dem Mond sind und es bis heute starke Verzögerungen in gleichstellungspolitischen Themen gibt. Denn: Frauen konnten im Vergleich zu anderen Ländern erst viel später überhaupt an der offiziellen Politik teilnehmen, mit enormer Verzögerung konnten sie ihre Belange einbringen und politische Stossrichtungen beeinflussen.

Die Verzögerungen, die durch das späte Frauenstimmrecht entstanden sind, wurden bis heute weder wirklich eingestanden noch aufgeholt. Quoten wären das Mindeste, was die Schweiz ‚ihren’ Frauen schuldet. Und eine offizielle Entschuldigung. Und Karosserien und rote Teppiche.

Stattdessen werden, wie die letzten Wochen am Beispiel von Tamara Funinciello deutlich wurde, Frauen mit Hass übersäht. Und nein, das waren nicht vor allem ‚Nordafrikaner’. Die Aversion gegen Frauen in diesem Land ist kein Ausländerproblem, sondern historisch, hausgemacht, immanent. Meistens, wenn Frauen etwas wollten, hat es in der Schweiz Jahrzehnte gedauert, war die Schweiz – im europäischen Vergleich – extrem langsam. Die Schweiz hört kaum auf ‚ihre’ Frauen, nimmt sie nicht ernst. Sie ist ein durch und durch männerbündlerisches Land. Das gilt oft gerade so für linke/progressive Kreise. Als Hausmütterchen und nette Kindergärtnerinnen sind Frauen geduldet. Wehe, sie wollen mehr. Wehe, sie sind frech. Kein Land für aufmüpfige Frauen. Wir wissen das von Iris von Roten, Christiane Brunner, Jolanda Spiess-Hegglin bis hin zu den Frauenstimmrechtskämpferinnen, die um Leib und Leben, Freundschaften und Jobs fürchten mussten (bis in die 1970er Jahre!).

Die Schweiz ist stolz auf ihre Konsensorientiertheit, auf ihre Politik der Kompromisse – ‚hier bei uns geht man hinterher mit dem Gegner ein Bier trinken’, so heisst es. Wie toll!

Aber das funktioniert nur für die Männer. Frauen müssen, um gehört zu werden, den Vorschlaghammer hervornehmen. Mit Nettigkeiten und Kompromissbereitschaft haben sie selten etwas erreicht. Und das Bier hinterher, dafür reicht die Zeit nicht, weil sie zu den Kindern müssen. Es ist ein Dilemma: Frauen müssen, um überhaupt gehört werden zu können, den ‚Schweizer Stil’ brechen. Um dann genau dafür wiederum gejagt zu werden.

Liebesbrief an die Fasnacht – für ein ‚Wir‘, das nicht nach unten tritt

Gastbeitrag von Michèle Meyer

Liebe Frau Fasnacht,

Ich wollte Dir schon immer mal schreiben. Einen Liebesbrief natürlich. Nur irgendwie fand ich die Worte und den richtigen Zeitpunkt nie. Nun findet der Zeitpunkt mich, und um die Worte werde ich ringen müssen. Sei‘s drum.

Du bist meine grosse Liebe, «z Basel», Frau Fasnacht. Seit es mich gibt und ich hoffte auch solange es mich gibt. Ich verdrücke mir gerade zwei drei Tränen über dieses Zweifeln und erinnere mich an das eine mal in 54 Lebensjahre. Dieses eine mal als ich Dich verpasste. 12 Jahre war ich alt, erwachte Montags um 4h weinend in einer Ferienwohnung im Engadin.

Nie wieder. Es war fürchterlich. Die Erinnerung lässt mich ahnen wie es wäre ein Leben, eine Welt, ohne Dich. Und diese Ahnung verbindet mich nur kurz mit den Menschen, die vorvorgestern Freitag durch die Stadt marschierten. In Panik, unreflektiert, hochemotional und angeblich verbündet gegen den eingebildeten Feind.

Ich kann es fühlen, auch in mir, dieses verbissen Festhaltenwollen oder gar – müssen. Die Welt könnte untergehen. Meine Farbenwelt im Grauen, das Miteinander im Gegeneinander könnte verloren sein. Für immer. Niemals. Hergeben. Nichts preisgeben. Bloss nicht.

Festhalten am Zeitlosen in der Schnelle. Das sich-um-den-Bauchnabel-drehen und es als Welt verstehen: nicht loslassen.

Ja.

Ich liebe es; dieses mich verlieren und verlieben in den Moment, die Stadt und die Menschen. Und nun wollt‘ ich, ich könnte Dir in den Rocksaum weinen, Frau Fasnacht. Meine Trauer in deinem «Ridicule» verstecken und mir nichts anmerken lassen.

Dabei bin ich vorvorgestern aus dem Wir gefallen. Ausgespuckt. Kühl. Trocken. Dumpf. Blopp. Einfach so. Ja, eigentlich ist alles einfach und gar nicht so komplex und kompliziert, wie es scheint.

Privileg ist uns heilig. Von wegen wir sind anders. Angst vor Identitätsverlust treibt seltsame Blüten auch in Basel. Eindeutig rassistisch konotierte Symbole geben angeblich Halt und werden zu überlebenswichtig en «Acessoirs».

Dieses unausgesprochene Wir- durch alle Schichten, politische Haltungen, durch «aller Gattig» wie meine Oma sagen würde – endet also hier.

Entlarvt. Enttäuscht. Entzaubert

Liebste Frau Fasnacht, ich liebe es einmal im Jahr kollektiv «aus der Zeit zu fallen» 72 Stunden lang. So tun als könnte uns die Zeit nichts anhaben. Obwohl die Zeit und die Menschen in der jeweiligen Zeit immer schon die Fasnacht bestimmten und wandelten. Während Anarchie und Poesie die Stadt und uns beherrschen… Jahr für Jahr.

Was sonst im Spagat nicht möglich wäre, findet zusammen, ergänzt sich. Auch darum sind mir dir ungeschriebenen Gesetze, die uns beschützen und uns gemeinsam einigermassen heil durch die Narrentage kommen lassen, heilig. Ich fürchte oft, dass sie verloren gehen und damit die Vielfalt und das gemeinsame Hochschaukeln zerfällt. Und nur noch Ellbogen und triviale Unterhalten zählen. Dass Subversion nur noch Ventilfunktion bekommt. Basel als einzig grosser Stammtisch.

Ja, vorvorgestern Freitag schien der Stammtisch greifbar. Marschierte durch die Stadt. Mir ist als wäre Fasnachtsdonnerstag und mein Blues das Einzige was bleibt.

Als hättest sogar Du, Frau Fasnacht mich zurückgelassen, wie ein verlorener «Zoggeli» im «Strossegräbli»

Mein LarvenRausch, der durch Enge, Blickwinkel und Lackierung mich immer betört, schmerzt nun in der blossen Vorstellung, als Metapher. Abgrundtief.
Ich liebe es mich im Takt der Märsche zu wiegen, ich Taktlose, im Wir, mit Arschlöchern, Langweilern und Freundinnen von links wie rechts. Und nun?

Ich weine um den Verlust. Ich bin nicht Teil eines Wir, das nicht zuhören will. Ich bin nicht Teil eines Wir, das wild um sich schlägt, weil jemand sagt: «Tschuldigung, ihr machet mir weh. Könnte mer rede?». Kein Wir für mich, wenn Wir meint, unsere Identität hänge an einem rassistischen Logo. Am Namen einer oder zwei «Gugge». (usgrächnet!)

Liebe Frau Fasnacht, was mach ich nur? Wie kleingeistig sind wir geworden und warum trifft es mich so überraschend – wie kam ich auf die Idee Basel sei anders?

Vielleicht auch, weil ich Dich nicht hergeben will. Nicht einmal jetzt.

Alles tut weh und ich bin himmeltraurig aber noch immer «agfrässe».
Und gerade darum war ich am Freitag als Vortrab unterwegs. Alleine. Ausgespuckt vom Wir. Bezug nehmend auf das, was nicht reflektiert werden darf.

Und subversiv. Die Zuschauende am Strassenrand haben mich dafür mit Hohn und Gewaltfantasien eingedeckt. Sei’s drum.

Ich war dort für Dich geliebte Frau Fasnacht. Für alles, was mir heilig ist, und für ein Wir, das mit der Zeit geht, wächst und den Namen verdient.

Ein Wir, das nicht von oben nach unten tritt. Ein Wir, das nicht demonstrativ für etwas einsteht, das andere verletzt. Für ein Wir, das sich selbst hinterfragen kann. Und vor allem für ein Wir, das Faschos aktiv ächtet, statt mit ihnen zu marschieren oder «Beggeschmütz aka Mohrenköpfe» zu verspeisen.

Und jetzt weine ich weiter und freue mich auf Dich.
In Liebe

Deine Michèle

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Anmerkung: In den letzten Tagen gab es in Basel – darauf nimmt der Beitrag oben Bezug – eine Debatte um die Fasnacht und um dort verwendete Symbole und Begriffe, die einen kolonial-rassistischen Hintergrund haben. Mehr Infos im Interview mit Naim Mbundu.

Weitere Infos zum ‚Marsch‘, an dem sich hunderte menschen dafür stark machten, weiterhin rassistische Symbolik verwenden zu dürfen. Und ein Kommentar von Carlos Hanimann.

Am 22. August findet in Basel aufgrund der Auseinandersetzungen ein Podium statt.

 

Michèle

Michèle Meyer mit einer provokanten Aktionam am genannten „Solidaritätsmarsch“. An diesem Marsch machten sich am 16. August hunderte Menschen in Basel dafür stark, weiterhin rassistische Symboliken und Begriffe verwenden zu dürfen (auch Rechtsextreme marschierten mit).

Foto: Jonas Hirt