Zum Kommentar von Eric Gujer in der NZZ

NZZ-Chef Eric Gujer kommentiert den rechten Terror in Deutschland. Und bestreitet, dass dieser Terror in irgendeinem Zusammenhang mit dem Zeitgeist oder rechter Propaganda steht.

Ich picke einige Aspekte heraus. Sicher gibt es noch mehr anzumerken:

Zunächst nennt Gujer mehrmals in einem Atemzug „Rechtsterrorismus“ und „islamistischer Terrorismus“ (später kommt noch die RAF). Beides hat Deutschland geprägt und gegen beides muss man dezidiert vorgehen.

Gujer legt damit nahe: Ich schreibe jetzt zwar über rechten Terror. Aber eigentlich lasse ich mir es nicht nehmen, auch angesichts dieser 11 Toten rechten Terrors (und auch angesichts von 140 Todesopfern seit 1993) nahe zu legen, wenigstens so ein bisschen, dass die Gefahr von „beiden Seiten“ gleichermassen kommt und gleich gefährlich ist.

Gujer: „Das Perfide am Terrorismus ist, dass er auf das Innerste einer Gesellschaft zielt, auf ihre Identität und ihr Selbstverständnis. Deutschland konnte nach dem islamistischen Attentat auf den Weihnachtsmarkt in Berlin nicht einfach weitermachen, und Deutschland kann nach den Morden von Hanau erst recht nicht gleichgültig zur Normalität zurückkehren.“

Nachdem er ein paar Mal den islamistischen Terrors ins Spielgebracht hat, ringt er sich durch zu sagen, dass der Rechtsterrorismus nun derzeit die grössere Gefahr darstellt. Und dass Deutschland gerade bei rechtem Terror auch wegen der Geschichte eine besondere Verantwortung hat. Und zwar, weil diese Gewalt ‚von innen‘ kommt, nicht importiert ist, also ein hausgemachtes Problem der Deutschen ist.

Die Gewalt komme, wie Gujer formuliert, „aus der Mitte der Gesellschaft“. Er meint damit aber nicht „Mitte“ in dem Sinne, dass Rassismus bei ’normalen‘ bürgerlichen Leuten verbreitet ist (wie die einschlägigen Studien zeigen). Sondern mit „aus der Mitte“ unterstreicht er lediglich, dass es sich nicht um migrantische Täter handelt: „Die rechte Gewalt ist nicht importiert (…) die Täter sind keine Flüchtlinge, keine Migranten, nicht einmal Angehörige der zweiten Generation. Der Terror kommt aus der Mitte der Gesellschaft“.

Gujer meint mit „kommt aus der Mitte“ nicht, dass wir ein verbreitetes Rassismusproblem haben und ganze Parteien, Bewegungen, Politiker*innen, Zeitungen usw. dazu aufhetzen, und dass sich rechte Täter dadurch zunehmend bestätigt und angestachelt fühlen. Das wird auch im darauf folgenden Abnschitt klar, wo er sagt, Terrorismus sei klar zu unterscheiden von Populismus und von allgemeinen politischen Tendenzen: Der Terror könne nicht mit allgemeinen politischen Tendenzen, gar mit Höcke gleichgesetzt werden: „Die wehrhafte Demokratie vermag zu unterscheiden zwischen rechter Demagogie im Stil eines Björn Höcke und Rechtsterrorismus wie in Hanau, Halle oder Kassel.“

Folgt man Gujer, stehen diese Täter und diese Gewalt für sich. Und wir müssen sie lediglich polizeilich eindämmen, mit besserer Polizei und besseren Sicherheitsbehörden. Und zwar muss man diese Täter „isolieren“, wie er schreibt. Sie sind nämlich etwas völlig anderes als rechte Demagogie. Man müsse diese Dinge, so Gujer, klar unterscheiden. So, wie man auch in den 1970er Jahren sehr klug unterschieden habe, und eine „vernünftige Mehrheit Linksterrorismus nicht mit Linksextremismus gleichsetzte.“

Autsch.

Mit anderen Worten: Gujer benutzt das Argument, dass in den 1970er Jahren scheinbar klar war, dass die RAF scheinbar nichts mit anderen Linken zu tun hatte, um zu sagen: Auch in Hanau und beim NSU sind das (spinnerte) Einzelne, deren Radikalisierung nichts mit rechtsextremen, nichts mit Gewaltphantasien verbreitenden Politikern wie Bspw. Höcke oder anderen Propagandisten zu tun hat. Und folglich auch nichts mit der Verbreitung und Normalistät von Rassismus und anderen rechten Tendenzen.

Abgesehen davon, dass Gujers Gleichsetzungen von Rechtsterrorismus, RAF und Islamistischem Terror extrem ungenau sind: Doch, es gab grosse und kritische Auseinandersetzungen darüber – und musste es geben (!) – inwiefern es auch zwischen RAF und manchen Linken teilweise eben nicht genug Distanzierung gab, inwiefern auch in linken Ideologien teilweise Gewalt geschürt wird. Darüber auch, was Linke tun müssen und können, um ihre Ideen und Ziele auf klar demokratische Basis zu stellen. Selbstverständlich waren und sind das Fragen und zentrale Auseinandersetzungen!

Abgesehen davon unterschlägt Gujers RAF-Vergleich noch andere wichtige Punkte. Auch dies mit dem Ziel, den rechten Terrorismus von der rechten Demagogie (auch jener in seiner Zeitung) zu isolieren und abzutrennen: Er unterschlägt zum Beispiel, dass sich gerade der rechte Terrorismus in besonderen Masse dadurch auszeichnet, dass die Übergänge von der spontanen Strassengewalt hin zum organisierten Terrorismus besonders fliessend und schnell sind. Ferner: Dass Gewalt und Auslöschungsphantasien zur rechtsextremen und rechtspopulistischen Weltanschauung selbst konstitutiv und in besonderem Masse dazu gehören, mehr als zu anderen politischen Ideologien (und deshalb nicht einfach per Zufall im einzelnen rechten Täter gären). Vor allem Gewalt gegen so genannt Schwache, deren „Ausmerzung“, „Vertreibung“, Ausgrenzung, Ausschluss usw.

Gujer unterschlägt diese Spezifika rechter Ideologie und Propaganda und mithin auch, inwiefern diese Spezifika und deren Verbreitung den Schritt zur tatsächlichen Gewalt in besonderem Masse wahrscheinlich machen.

Zu diesem ‚wahrscheinlicher werden‘ rechter Gewalt gehören ferner dann nicht nur einzelne, sondern auch so genannte Ermöglichungsnetzwerke. Es handelt sich beispielsweise um Strukturen aus legalen und illegalen Vereinen, Gruppierungen und Organisationen, die ideologische Resonanzverstärker so wie auch praktische Sammelbecken bilden. In diesem Sammelbecken wird ideologisch geschult, wird aber auch taktisch-technisch geschult (auch der Umgang mit Sprengstoff, taktische Vorgehensweisen). Aus diesen (oft digitalen) Netzwerken lösen sich dann, zielgerichtet oder spontan kleine Gruppen oder Einzelpersonen. Auch die Meldungen über Rechtsradikale in Polizei, Bundeswehr und Justiz dürften Herr Gujer unmöglich entgangen sein.

Gujers Behauptung von angeblich „klar abgrenzbaren Tätern“ ignoriert praktisch sämtliche Erkenntisse aus der aktuellen und historischen Forschung zu Rechtsterrorismus und Radikaliaierung. So wie auch journalistische Aufdeckungen über Netzwerke.

140 Todesopfer rechter Gewalt gibt es seit 1993. Auch die Anzahl der Opfer, das erschütternde Ausmass des Rechtsterrorismus lassen klar schliessen, dass es sich nicht einfach um einzelne Radikalisierungen im stillen Kämmerlein handelt, die nichts mit dem Populismus, mit gesellschaftlichem Zeitgeist, mit der öffentlichen Präsenz rechter Hetze zu tun haben. Es sind keine Täter, die man fein säuberlich von der Normalisierung rechtsextremen Denkens, von den Demagogien eines Höckes und anderer abtrennen könnte.

Gujer aber behauptet: „Vielleicht ist das die grösste Tugend des Rechtsstaats: dass er Grenzen definiert, wo andere sie zum Zweck der Propaganda verwischen. Heute wird Deutschland ebenfalls klug genug sein, nicht alles aus einer verständlichen Empörung heraus in einen Topf zu werfen – Terroristen und Populisten.“

Nochmal: Welche klaren Grenzen? Wer sich ein Minimum mit rechter Propaganda und Vernetzung befasst, weiss, dass diese sich eben nicht an die vom Rechtsstaat definierten Grenzen hält. Und diese genau verschiebt, erweitert. Gerade auch in Zeitungen wie der NZZ.

Kein Wort schreibt der NZZ-Chef über das Gefühl dieser Täter, sich bestätigt zu fühlen jedes Mal, wenn wieder einer vom „Vogelschiss der Geschichte“ redet. Wenn auch in der NZZ von der Bedrohung durch feministische und andere Weltverschwörungen die Rede ist, oder wenn Rassismus zu Meinungsviefalt umgedeutet wird. Diese Täter sehen sich in ihrer Weltsicht auch durch so genannt bürgerliche Medien und Politiker bestätigt. Von dieser Verantwortung schreibt Gujer kein einziges Wort.

Wir haben in der Schweiz den Chef einer grossen Zeitung, der einen Tag nach der Ermordung von 11 Menschen durch einen rechte Terroristen sowie angesichts der Tatsache, dass es nicht nur eine verstärkte rechte Propaganda in den vergangeen Jahren, sondern auch ganze Netzwerke rechten Terrors und zig Morde in den vergangenen Jahren gab, sich hinstellt und sagt:

Wir müssen Terrorismus lediglich behördlich besser ahnden. Zwischen Gewalttäter, Sympathisanten, Ermöglichern, rechtspopulistischer Propaganda, rechtsextremen Parteien und nicht zuletzt verbreitetem Rassismus (den er mit keinem Wort erwähnt) gibt es keinerlei Verbindungen. Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun.

Nada.