Anti-woke-Rhetorik

Die Anti-woke-Rhetorik ist ein zentrales Einfallstor aktueller rechter Politik. Mittels Verschwörungserzählungen und Vorurteilen erzeugt sie Ablehnung gegenüber Grundpfeileren der Demokratie, zum Beispiel gegenüber Gleichstellung, Antidiskriminierung und Menschenrechten.

Eine kurze Analyse am Beispiel von Martin Ebels Text «Was inklusive sein wollte, wird intolerant» (Tagesanzeiger 23.09.2023).

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1. Die Verschwörungserzählung

Martin Ebels Text im Tagesanzeiger stellt heutige Antidiskriminierungsbestrebungen pauschal als intolerant dar, indem er extrem disparate Beispiele von Debatten, Ereignissen und Antidiskriminierungsmassnahmen zu einem grossen Ganzen vereinheitlicht und mit Begriffen wie «Gender-Lobby» oder «woke Bewegung» in eine Verschwörungserzählung bettet. 

In dieser Erzählung walten und schalten duffuse, nicht weiter definierte, aber als mächtig dargestellte Akteur:innen und verhängen allgemeine Verbote und Regeln. In Ebels Worten:

«Über Rassismus dürfen sich nur die äussern, die ihn erlitten haben. Eine weisse Übersetzerin darf Gedichte einer schwarzen Amerikanerin nicht übersetzen. Ein nichtjüdischer Schauspieler sollte einen jüdischen Dirigenten nicht darstellen dürfen (schon gar nicht mit künstlich vergrösserter Nase). Ein Berner Club bricht ein Konzert einer weissen Band mit Rastalocken allein wegen des «Unwohlseins» einzelner Besucher ab.»

Diese Aufzählungen konstruieren das Bild einer orchestrierten Stossrichtung von Antidiskriminierungspolitik; konkrete Akteur:innen werden nicht gnannt, Hintergründe und Kontexte der aufgezählten Beispiele bleiben im Nebel. Inwiefern es etwa tatsächlich berechtigte Bedenken gibt, wenn ein nicht-jüdischer Schauspieler einen Juden mit künstlich verlängertet Nase spielt, diskutiert Martin Ebel nicht. 

2. Vorurteile: Minderheiten wollen bloss Macht und Privilegien

Stattdessen insinuiert er, es gehe Minderheiten in ihrem Bestreben nach Inklusion eigentlich nur darum, wiederum selbst andere auszugrenzen und Vorteile zu ergattern:

«Das Bestreben nach Inklusion und Diversität, nach Förderung benachteiligter Gruppen schlägt manchmal – Dialektik! – in Ausgrenzung um. Die Dampfzentrale Bern macht eine Veranstaltung ausschliesslich für «BIPoC». An einem deutschen Theater verlangt eine Gruppe schwarzer Schauspieler öffentliche Gelder für eine eigene Truppe, die nur aus Schwarzen besteht – Weisse unerwünscht. Aus dem Kampf gegen Benachteiligung wird die Forderung nach Privilegien.»

Der Text stellt die Förderung diskriminierter Gruppen pauschal als «Exklusivitätsansprüche» dar, die zwangsläufig in «Bevormundung, Ausgrenzung, Unterdrückung und Intoleranz» umschlagen. Diese Rhetorik schürt das Vorurteil, Minderheiten würden nicht Gerechtigkeit anstreben, sondern die Macht übernehmen wollen, anderen etwas wegnehmen, sich bevorteilen.

3. Demokratische Grundpfeiler werden abgewertet

Auf diese Weise werden demokratische Grundprämissen wie Antidiskriminierung und Gleichstellung grundlegend abgewertet: Ebel macht sich weder die Mühe auszuführen, inwiefern Antidiskriminierung ein Auftrag demokratischer Gesellschaften ist, noch geht er der Frage nach, inwiefern eine vorübergehende Bevorteilung bestimmter Gruppen manchmal tatsächlich eine sinnvolle Massnahme sein kann. Kein Wort verliert der Text über den Stand der Debatte zum Thema Quoten, geflissentlich lässt er aus, dass sich Expert:innen, Jurist:innen, Politolog:innen usw. seit vielen Jahren mit der Frage befassen, inwiefern es ein Problem ist oder nicht, dass Quoten eine (temporäre) Schlechter­stellung derjenigen bedeuten, die nicht in die Quote fallen. 

Ein Fazit dieser breit geführten Auseinandersetzung ist, dass Quoten keineswegs per se «intolerant» oder «ausgrenzend» sind, sondern – wie auch juristisch festgestellt wurde – angesichts der vorherrschenden und historischen Unter­repräsentation bestimmter Menschen menschenrechts- und verfassungs­konform. Solche Massnahmen können durchaus legitim, sinnvoll und verhältnis­mässig sein, sofern sie auf der nachweislich strukturellen Benachteiligung einer bestimmten Gruppe in bestimmten Bereichen beruhen.

Solche Feinheiten aber verschweigt die vorurteilige Rhetorik, sie verhandelt ausschliesslich die Illegitimität von Inklusions-Massnahmen und schürt auf diese Weise negative Emotionen gegenüber der Umsetzung von Antidiskriminierung und Gleichstellung. Dass vor allem Antipathien geweckt werden sollen, zeigt sich gerade auch daran, dass Ebel sich liberal pro Gleichstellung und Antidiskriminierung gibt – etwa, indem er diese als früher «einmal menschenfreundliche Anliegen» bezeichnet. 

Gerade diese oberflächliche liberale Selbstinszenierung enthält jedoch vor allem ein lautes Schweigen darüber, inwiefern und warum Antidiskriminierung und Gleichstellung zentrale demokratische Paradigmen sind; und wie, wenn nicht durch die von Ebel kritisierten Massnahmen, diese sonst umgesetzt werden könnten. Vorschläge dazu gibt es keine. Nicht zuletzt klingt die Formulierung, es handle sich um «menschenfreundliche Anliegen» wie ein «nice to have» und untergräbt, dass Gleichstellung und Antidiskriminierung in der Verfassung bzw. im Gesetz verankerte Aufträge sind. Zusammenfassend lässt sich festhalten: Ebels Text gibt vor, sachlich zu argumentieren, schürt aber vor allem Ressentiments gegenüber Grundpfeilern der Demokratie.

4. Rhetorik der Feindbilder: Wie und warum funktionieren Vorurteile?

Aber weshalb und wie funktioniert die vorurteilige Rhetorik? Am Anfang von Res­sen­ti­ments stehen Gefühle wie Frus­tra­tion, Ängste, Schwä­che, Ver­bit­te­rung und Wut (vgl. Wodak 2018; Müller 2019). Es sind Gefühle, die viele Men­schen haben und dies oft zurecht: Ver­un­si­che­rung, Erfah­run­gen von Schwä­che, Sinn­lo­sig­keit, Dis­kri­mi­nie­rung, Ein­sam­keit und Pre­ka­ri­tät haben meist eine reale Grund­lage. Wahr ist auch, dass Politik zum Teil auf leeren Ver­spre­chun­gen basiert, dass viele Men­schen ver­nach­läs­sigt werden und zu kurz kommen.

Diese Gefühle des zu kurz Kommens werden in der vorurteiligen Rhetorik in eine irreführende Inter­pre­ta­tion von Ursa­che und Wirkung gelenkt. Andere werden in einer kruden Freund-Feind-Logik zur Quelle der (per­sön­li­chen) Not gemacht, sie werden zu Projektionsflächen, Schuldigen und Sündenböcken. Die vorurteilige Rhetorik ist nicht zuletzt auch deshalb so erfolgreich, weil sie Szenarien bedient, die durchaus einen Anschein von Plausibilität haben: Denn selbstverständlich gibt es Formen von Antidiskriminierungsmassnahmen oder Repräsentationspolitik, die mit guten Gründen kritisiert werden können und sollen.

Die vorurteilige Rhetorik bemüht sich jedoch nicht um eine redliche Argumentation, es geht ihr nicht darum, Kritik zu formulieren und bessere Vorschläge zu machen. Es geht ihr darum, Feindbilder zu erzeugen und allgemeine negative Gefühle und Abwehr gegenüber der Umsetzung von Gleichstellung und Antidiskriminierung zu schüren.

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