Frauen*tag 2018

Statt uns permanent über den reaktionären Backlash aufzuregen, sollten wir unsere Kraft  darauf verwenden, Multiplikator*innen des Minorisierten, Lautsprecher derjenigen zu sein, die in unserer Gesellschaft versuchen, emanzipatorisch zu handeln und ebensolche Projekte umzusetzen.

Mehrere Millionen Frauen* haben am 8. März in Spanien gestreikt. In unzähligen Ländern wurde demonstriert, in der Türkei waren tausende Frauen* – trotz massiver Repressionen – auf der Strasse. Auch in der Schweiz wurde an mehreren Orten demonstriert und es ist überwältigend, wie überfüllt derzeit sämtliche Veranstaltungen sind, an denen es um feministische Politik und Diskussionen geht. In der Schweiz gibt es derzeit mehrere Gründe, wütend zu sein: die Umsetzung der Lohngleichheit ist jüngst im Parlament zurück gewiesen worden, und im Aargau wird, trotz vielzähliger Proteste, die Fachstelle für Gleichstellung abgeschafft.

Diese Anti-Gleichstellungs-Politik greift strukturell die Demokratie an: Sie konterkariert das politische Prinzip der Pluralität, sie pfeift auf das völkerrechtlich verankerte Verbot der Diskriminierung, auf den in der Verfassung verankerten Auftrag, Gleichstellung nicht nur gesetzlich festzuhalten, sondern auch umzusetzen, und sie ignoriert die von der Schweiz unterzeichneten internationalen Abkommen (zum Beispiel CEDAW). Wir sind Zeug*innen einer Politik, die zunehmend auf das Recht des Stärkeren setzt, Grundrechte gefährdet und damit gesellschaftliche Spaltung in Kauf nimmt. Eine Anti-Gleichstellungspolitik ist eine gefährliche Politik, die eine solidarische Gesellschaft ablehnt.

Im Zuge des so genannten Rechtsrutsches – der weit in die bürgerliche Mitte reicht – erleben wir insgesamt einen antifeministischen Backlash, eine Politik, die sich aktiv gegen Gleichstellung wendet und Erreichtes infrage stellt. Antifeminismus ist zu einem zentralen gemeinsamen Nenner neu-rechter Bewegungen geworden, nicht selten ist er gar deren Antrieb. Das ist die schlechte Nachricht. Die Gute ist: Die reaktionären Kräfte scheinen zu realisieren, dass ihr Durchmarsch nicht so sicher ist, wie sie gerne hätten. Und dass ihnen zum Beispiel die derzeitigen Frauen*bewegungen im Weg stehen.

Wie Antje Schrupp schreibt: „Es sind überall auf der Welt feministische Initiativen, unter deren Banner sich heute der Protest und der Widerstand gegen Rechtsruck und Nationalismus formieren. Von den Czarny-Protesten in Polen zu den Women’s Marches in den USA, von den Massendemonstrationen in Istanbul über die Pussy Riots in Moskau bis zu den aktuellen Protesten in Iran: Die Frauenbewegung ist die einzige international vernetzte politische Bewegung, der man zurzeit die Kraft zutrauen kann, dass sie eine Alternative zu bieten hat. Nicht nur zu den Rechten, sondern auch zum „Weiter-so“ des bürgerlich-kapitalistischen Durchwurschtelns“.

Es ist, wie es scheint, der feministische Aufstand, der aktuell am lautesten und am globalsten für eine pluralistische und gerechte Gesellschaft einsteht. Rechtsnationalisten und Konservative haben vollkommen recht: Wenn nur ein kleiner Teil dessen, was Frauen und ihre Verbündeten derzeit wollen und fordern, erreicht wird, ändert sich die Welt grundlegend. Und das ist, wovor ihnen graut. Nehmen wir zum Beispiel die Forderungen nach einer Welt der Fürsorge, Empathie, Intersubjektivität und Vulnerabilität (Judith Butler), das heisst das Ziel eines Paradigmenwechsels, bei dem Fürsorge (auch für unseren Planeten) zum Ausgangspunkt politischen und ökonomischen Handelns wird. Die ‚Gefahr’ eines solchen Paradigmenwechsels wurde genau erkannt: Er stellt die vorherrschende Marktlogik fundamental infrage. Und ganz nebenbei würden Männer bei einem solchen Paradigmenwechsel – gütiger Gott! – ‚feminisiert’.

Oder nehmen wir – auch dies ist Bestandteil feministischer Forderungen – die Gleichberechtigung von LGBTIQ. Wenn lesbische, schwule und queere Lebensweisen dereinst wirklich als gleichwertig gelten, werden noch viel mehr Menschen ihre queere Seite entdecken. und den Mut haben, verschiedene Sexualitäten auszuprobieren. Wenn Queerness eine gleichwertige Lebensweise ist, wird die Gesellschaft – gütiger Gott! – ‚homosexualisiert’. Anders gesagt: die heterosexuelle Norm bleibt im Falle einer echten Gleichberechtigung und Ent-Stigmatisierung von Homosexualität nicht einfach bestehen. Natürlich erodiert dann die bisherige Norm selbst.

Es geht also um mehr als um die Verteidigung von Grundrechten und Verfassungsaufträgen, es geht um mehr als darum, gleich sein zu dürfen mit der Norm. Um mehr als darum, auch ein wenig mitmachen zu dürfen im vorherrschenden System. Vielmehr geht es um die Transformation der vorherrschenden Normen selbst, um eine Veränderung des Systems. Es geht um eine grundlegende Umverteilung von Deutungshoheit, Einfluss und Ressourcen.

Tatsächlich verändert sich die Welt grundlegend, wenn all diese so genannten ‚anderen’ – Frauen, MigrantInnen, Homosexuelle und trans Menschen, Menschen mit Behinderung und und und…– plötzlich mitreden, wenn ihre Lebensweisen und Perspektiven nicht mehr die Ausnahmen, wenn sie nicht mehr die ‚Freaks’ an den Rändern der Gesellschaft, sondern Normalität sind. Feministische Bewegungen – es sind tatsächlich viele, und es wollen längst nicht alle das Gleiche – stehen für eine plurale Gesellschaft, sie wenden sich gegen starre Geschlechternormen genauso wie gegen Leitkultur-Phantasmen und nationalistische Abschottung, gegen kapitalistische und ökologische Ausbeutung, sexualisierte Gewalt oder Rassismus. Mehr noch: Feministische Bewegungen zeigen, dass eine plurale Gesellschaft bereits da ist. Auch in ihrer ganzen, manchmal schwer auszuhaltenden Widersprüchlichkeit.

Womöglich also sind Hass und Backlash-Tendenzen sogar der Effekt eines Erfolgs: Weil Frauen und andere minorisierte Menschen laut sind und immer lauter werden, weil sich ein Wandel vollzieht, der nicht aufzuhalten ist, ist die Gegenreaktion so aggressiv.

Ich glaube, eine entscheidende Strategie gegen den Backlash ist deshalb, noch exzessiver, noch penetranter und lauter diese wimmelnden und pluralen Lebensweisen, diese emanzipatorischen Projekte sichtbar zu machen. Eine Strategie gegen Rechts ist zu zeigen, dass es bereits ein leidenschaftliches „Anderswo der Geschichte“ (Wanda Tommasi) gibt, Lebensversuche (Versuche!) jenseits von Reinheits,- Leitkultur- und Nationalismus-Phantasmen, jenseits von Ausbeutungs- und Leistungswahnsinn, jenseits der bürgerlicher Familiennorm und traditionellen Geschlechterentwürf.

Ob es gelingt, einen weiteren Rechtsruck aufzuhalten hängt meines Erachtens massgeblich davon ab, dass wir diesen anderen Stimmen und Projekten mehr Bühnen, Mikrophone, Redezeit, Kommentarspalten, TV-Auftritte und Podien verschaffen. Denn dadurch wird, als ein Nebeneffekt, den anti-emanzipatorischen Stimmen automatisch Aufmerksamkeit und Bedeutung entzogen. Stattessen richtet sich die Aufmerksamkeit auf das, was ‚wir anderen’ wollen. Im besten Fall wird dieses ‚andere‘ dadurch multipliziert und auch in seiner Differenz und Widersprüchlichkeit sichtbar.

Die italienische Philosophin Wanda Tommasi schreibt, eine wichtige Strategie gegen starre Ordnungssysteme sei es, die eigene Unterschiedlichkeit zu betonen und zu versuchen, diese Unterschiedlichkeit in gesellschaftlichen Umlauf zu bringen. Anders gesagt: Wir kommen einer anderen, einer pluralen und gerechteren Welt nur näher, wenn wir deutlich machen, dass diese ein Stück weit schon da ist

Statt uns also permanent über den reaktionären Backlash aufzuregen, sollten wir unsere Kraft auch darauf verwenden, Multiplikator*innen der pluralen Gesellschaft, Lautsprecher des Minorisierten und derjenigen zu sein, die in unserer Gesellschaft emanzipatorisch zu handeln versuchen und ebensolche Projekte umsetzen.

Kurzum: haben Sie Ihren Freund*innen heute schon von dem Buch „Terra Incognita“ (Limmat Verlag) berichtet, das die Geschichte Schwarzer Frauen in Zürich aufarbeitet? Haben Sie Ihren lokalen Radiosender über SAO informiert, ein Projekt, bei dem Frauen* in der Schweiz geflüchteten Frauen* helfen? Haben Sie heute schon auf Facebook oder Twitter die jüngste Transgender-Aktion geteilt? Haben Sie am Arbeitsplatz schon von der Ärztin Natalie Urwyler erzählt, die im Berner Inselspital gerade die erste Anti-Diskriminierungsklage gewonnen hat? Und haben Sie schon Ihren Nichten und Neffen erzählt, dass manche Kinder zwei Mütter haben? Und wie grossartig es ist, wenn Menschen immer freier wählen können, welche Art Familie sie leben wollen? Und wissen Sie von der WG im St. Johann in Basel, die einmal Pro Woche einen Mittagstisch für alle Menschen von der Strasse anbietet?

Es ist Zeit dafür zu sorgen, dass all das die reaktionäre Stimmungsmache übertönt.