Martin Ebel in der NZZ: Eine Ansammlung von Gerüchten, Geraune und Unterstellungen

Wenn Diskriminierte zur Hetze rufen“

Essay zu Political Correctness von Martin Ebel (Tagesanzeiger, 9. Juli 2020)

Ich analysiere hier kurz den Text von Martin Ebel. Ich hatte wenig Zeit. Sicher könnte man noch viel mehr dazu sagen. Zusammengefasst: Der Text ist eine Ansammlung von Gerüchten, Geraune und Unterstellungen.

Ebel steigt ein mit dem Satz:

Rassismus und Sexismus: Beide existieren, und beide sind böse.“

Böse? Was will Ebel damit sagen? Er steigt ein mit der Infantilisierung bestimmter Anliegen: „Böse“ ist Kinderterminologie. Kritik an Rassismus wird auf eine Kinderebene gestellt, sie hat nicht den Stand von Gesellschaftsanalyse basierend auf Fakten und Geschichte, sondern ist rein moralisches Empfinden.

Ebel ferner: „auch hier wird heftig gekämpft gegen das Böse – vor allem auf der symbolischen Ebene, der Ebene der Repräsentation. Es geht um Worte und Bilder, um korrekte Sprache, um Denkmäler im öffentlichen Raum.“

Hier macht er es gleich nochmal: Auseinandersetzungen rund um Rassismus werden als „Kampf gegen das Böse“ infantilisiert, sie haben so eine Harry Potter-Dimension, sind eben kindisch, ein manichäischer Kampf zwischen Gut und Böse. Im zweiten Teil des Satzes kommt die bekannte Figur der „Symbolpolitik“. Ebel zufolge geht es in der Schweiz um nichts wirklich Wichtiges, im Vergleich zu den echten Problemen von, wie Ebel schreibt, “jungen Schwarzen in US-amerikanischen Grossstädten, Frauen in Saudiarabien oder Kastenlosen in Indien“.

Ebel weiter: „Und, wenn man schon dabei ist, um die Entsorgung einer unliebsamen Vergangenheit, die Purifizierung des kulturellen Erbes, bis es perfekt dem Zeitgeist entspricht.“

Spätestens hier wird es extrem ungenau, unterstellend, pauschalisierend, journalistisch fragwürdig (vielleicht sollte man das Korrektorat doch nicht streichen beim Tagi): Herr Ebel: Wer genau spricht von „Entsorgung“? Sind die Forderungen betreffend Statuen nicht extrem unterschiedlich? Manche sagen: Weg damit, andere sagen: Umgestaltung. Wieder andere sagen, gut wäre ein Platz im Museum. Und geht es da, Martin Ebel, wirklich um Entsorgung der Vergangenheit? Haben Sie mal nachgefragt? Geht es, anstatt um „Entsorgung“, nicht eher um eine Spezifizierung, um eine Differenzierung der Vergangenheit, um eine Konkretisierung der Erinnerungskultur, eben gerade nicht um Tilgung der Geschichte, sondern um eine genauere Reflexion derselben?

Und was meinen Sie mit „Purifizierung“? Wer fordert das genau? Geht es nicht eher um eine Vervielfältigung von Erinnerungskultur? Also um ein Geschichtsbewusstsein, dass MEHR Perspektiven als bisher berücksichtig? Haben Sie, Martin Ebel, da nichts gefunden bei Ihren Recherchen? Ich nämlich auf Anhieb schon, ich habe mit einer einzigen Googleeingabe sehr viele differenzierte Debattenbeiträge zum Thema Statuen gefunden. Auch zur Auseinandersetzung um Kant gibt es viele verschiedene Perspektiven, Kontroversen, Argumente. Aber darum geht es Martin Ebel nicht, es geht ihm nicht um Debatte, sondern um die Konstruktion von Feindbildern.

Man mag eigentlich nicht mehr weiter analysieren, weil längst klar ist, dass Martin Ebel keinen um Differenziertheit bemühten Beitrag versucht, sondern Polarisierung und Bashing betreibt. Mehr ist es nicht. Aber gut, vielleicht hilft es ja:

Ebel definiert, was er unter Political Correctness versteht: Das Ganze gehört in den grossen Bereich der Political Correctness und baut auf zwei Grundaxiome. Erstens, dass betroffene Gruppen, und zwar aufgrund allein ihrer subjektiven Wahrnehmung, sprich: Verletztheit, bestimmen, wie von allen anderen gesprochen und dargestellt werden darf.“

Das sind erneut reine Unterstellungen. Quellen nennt Martin Ebel keine. Seine Thesen sind Geraune, Gerüchte, Spekulation. Wer sagt das? Wer bestimmt über diese Grundaxiome? Wer genau sagt, dass man nur aufgrund der subjektiven Betroffenheit sich äussern darf? Und wann genau kann es tatsächlich Sinn machen, dass eher Betroffene zu Wort kommen? Und welche Argumente sprechen gegen eine reine Betroffenheits-Perspektive? Für solche komplexen Argumente und vorhandenen Auseinandersetzungen interessiert sich Martin Ebel nicht, er schreibt, wie es scheint, auf der Basis von Ressentiment und Phobie.

Ferner behauptet Martin Ebel, dass die Politisch Korrekten meinen, dass sich mit der „Repräsentationsebene auch die Realität korrigieren lässt“. (…) wer Mohrenköpfe aus dem Regal entfernt, tut deshalb etwas gegen Rassismus“.

Erneut eine reine Unterstellung ohne Quellen: Wer sagt, dass mit der Veränderung von Begriffen sich alles verändert? Wer sagt, dass das ausreicht? Was sagen die unterschiedlichen Menschen genau, die Begriffe wie M**kopf kritisieren? Auch hier fehlen sämtliche tatsächlichen Auseinandersetzungen und Kenntnisse zu Fragen von Repräsentation und Sprache.

Anschliessend macht Martin Ebel eine Aufzählung von allem, was ihn nervt: „Genderei“, Begriffe wie PoC oder BIPoc usw. All diese Begriffe werden von Martin Ebel auf reine politische Korrektheit reduziert, er leistet keinerlei Reflexion dazu, um was es geht bei einem Sternchen oder anderem. Martin Ebel schreibt auf der Basis völliger Uninformiertheit und macht sich nicht die Mühe, auch nur im Ansatz zu verstehen, worum es geht. Selbstverständlich erwähnt er auch nicht, dass es KEINE Einigkeit zu diesen Begriffen unter Genderfachleuten, Aktivist_innen, Migrations- und Kolonialismusforscher_innen usw. gibt. Ebel lässt das alles weg, um seine These von einer vermeintliche einheitlichen PC-Diktatur zu machen (so viel Ungenauigkeit muss man sich erstmal leisten können, und dann auch noch in einer der grossen CH Tageszeitung prominent gedruckt werden. Wow).

Aber trotz dem prominenten Platz, den Ebel für sein Elaborat bekommt, weiss er sich als Opfer zu stilisieren. Er darf all diese ungenauen Gerüchte und Diffamierungen ausführlich aufschreiben, und muss dafür, der Arme, mit Kritik rechnen:

Wer sich dieser Thematik heute mit einer gewissen Skepsis nähert – wie auch dieser Essay -, riskiert, an den öffentlichen Pranger der unsozialen Medien gestellt zu werden.“

Es ist selbstverständlich widerwärtig und falsch, wenn Menschen im Internet beschimpft und herabgestzt werden. Dass die Autorin J.K. Rowling sexualisiert angegriffen wurde, geht nicht. Aber das schlechte Verhalten Einzelner zum Allgemeinplatz zu erdichten, gleichzeitig aber die Gewalt und die Herabwürdigung, die trans Menschen, Migrant_innen, Frauen, Menschen of Color, queere Menschen, Menschen mit Behinderung usw. tagtäglich erfahren, nur floskelhaft in Nebensätzen zu erwähnen („Rassismus ist böse“), zeugt von Ressentiments und einer phobischen Ablehnung gegen diese Menschen, die Martin Ebel nur schlecht verbirgt.

Auch zur Rowling-Debatte hat Martin Ebel nicht mehr als Vorurteile beizutragen. Die Mühe, die von Rowling wiederholt verletzenden Aussagen gegen trans Menschen zu prüfen, macht er sich nicht. Stattdessen behauptet Martin Ebel, die Kritik an Rowling wäre nur ein Beispiel dafür, dass Menschen zu empfindlich sind. Was Rowling wirklich sagte, und inwiefern ihre Aussagen – gerade auch mit dieser Reichweite vor Millionenpublikum – berechtigt Kritik verdienen, diese Debatte ist viel zu anstrengend. Viel einfacher ist es, Rowling als Opfer von Zensur und Pranger zu sehen.

Ja, es gibt ausfällige Kommunikationsstile. Die auch autoritär, vernichtend usw. agieren. Aber nochmal: Von diesen auf alle zu schliessen, von Hexenjagd zu sprechen, ist extrem ungenau und bewusst skandalisierend. Harte Kritik ist noch keine Zensur.

Ebel bedient den Trick, eine These aufzustellen, die nie ganz und gar falsch ist. Dass es irgendwo immer irgendwelche Beispiele für fundamentalistische oder aggressive Vorgehensweisen oder Protestformen gibt – ja. Ja, man findet solche Beispiel immer. Martin Ebel macht ein These, die immer irgendiwe wahr ist, weil man irgendwo schon irgendein Beispiel findet. Aber dass daraus eine allgemeine Stossrichtung abgeleitet wird, ist ungenau und falsch. Es gibt auch keine Zensur, im Gegenteil: die Auseinandersetzungen werden ja geführt. Ebel, Rowling und andere haben Plattformen und Diskursmacht, Sichtbarkeit und Einfluss. Faktisch ist die Unterstellung, man dürfe nichts mehr sagen falsch. Man darf, aber wird halt kritisiert.

Was zutrifft: Der Ton ist zuweilen rau, manchmal aggressiv. Hatespeech gibt es selbstverständlich auch von links, seitens Feministinnen usw. Aber es gilt, Hatespeech von harter Kritik zu unterscheiden: Die Konflikte einer pluralen Gesellschaft treten offen zutage. Es reden immer mehr verschiedene Menschen mit. Das ist nicht einfach. Da geht es zu und her. Debatten sind jetzt eben wirklich pluraler, und entsprechend kontroverser. Es sind eben nicht mehr ein paar Feuilletonpäpste, die drüber bestimmen, wo eine Debatte verläuft und wie. Es sind sehr viel mehr, kontroverse, verschiedene Stimmen am Tisch. Das gilt es auszuhalten und es bedeutet, dass manche, die vorher mit ihren Sichtweisen dominant waren, diese Vorherrschaft teilweise abgeben müssen. Dass das schmerzhaft ist und sich ungerecht anfühlt, ist klar. Ist aber kein Totalitarismus.

Ich habe den Eindruck, dass Martin Ebel anderen unterstellen, nicht tolerant zu sein, aber im Kern der Text eigentlich besagt, dass er es ist, der Mühe hat mit der Vielfalt und damit, dass Definitionshoheiten gerade wirklich umverteilt werden. Dass manche Menschen Kritik ernten und zurück stehen werden müssen, tut weh, das verstehe ich. Die Neujustierung von Regeln des Zusammenlebens, die es möglich machen, Macht, Ressourcen, Redezeit, Deutungshoheit usw. gerechter, das heisst an viele zu verteilen, geht nicht ohne Verluste von Privilegien. Konflikte, harte Kontroversen und Aggressionen lassen sich entsrpechend nicht vermeiden, das ist aber kein „Totalitarismus“.