Die Burka in der Bankenrepublik

Weshalb es bei der Einbürgerungsvorlage um mehr als nur um Fakten geht

Ein Gastbeitrag von Bernhard C. Schär

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Myth-Busting von Operation Libero gegen die SVP-Plakate

Die SVP-Propaganda gegen die Erleichterte Einbürgerung der so genannten Dritten Genration wurde in den letzten Tagen heftig kritisiert. Das SVP-Plakat, das an allen grösseren Schweizer Bahnhöfen hängt, zeigt eine mit Burka verhüllte Frau und den Slogan ‚Unkontrolliert einbürgern? Nein!‘. Operation Libero, aber auch die führenden Medien der Deutschschweiz sowie gewichtige Stimmen aus der Linken und der FDP werfen der SVP vor, mit falschen ‚Fakten‘ zu polemisieren. 98.6% seien europäische Ausländerinnen und Ausländer, die Wahrscheinlichkeit, dass eine Burkaträgerin eingebürgert werde, tendiere daher gegen null.

Diese Kritik ist aus mehreren Gründen problematisch.Sie verschweigt erstens, dass das primäre Problem der SVP-Propaganda nicht ihre Faktenwidrigkeit ist, sondern dass sie rassistisch ist. Zum wiederholten Mal suggeriert die rechte Milliardärspartei, dass (konservative) Muslime eine Bedrohung für die Schweiz darstellen und prinzipiell nicht eingebürgert werden sollen. Die von Operation Libero und deren journalistischen und politischen Sprachrohre eingebrachten „Fakten“ wirken auf den ersten Blick zwar überzeugend. Sie basieren aber auf einer wackeligen Prämisse. Sie ignorieren, dass sich unter den 98.6% europäischen Ausländerinnen (und auch unter den Schweizerinnen) durchaus auch Muslimas finden. Dass etliche von ihnen sich eines Tages vielleicht in eine Burka oder ähnliches hüllen wollen, ist nicht auszuschliessen. Schliesslich ist die Burka in Europa in vielen Fällen kein Importprodukt, sondern hausgemacht. Sozialwissenschaftlich ist hinreichend bekannt, dass Immigrantinnen und Immigranten der zweiten oder dritten Generation auf generationenübergreifende Erfahrungen von Diskriminierungen und Rassismus zuweilen mit dem Rückzug auf eine hochkonservative Interpretation der ‚Kultur‘ ihrer Eltern oder Grosseltern reagieren.

Der reaktionäre Konservativismus der europäischen Alteingesessenen, vertreten etwa durch die SVP, und Teile der neu zuwandernden Migrationsbevölkerung bringen sich paradoxerweise also wechselseitig hervor. Die britische Schriftstellerin Zadie Smith hat dazu vor etlichen Jahren einen brillanten Roman geschrieben (Zähne zeigen). Mit anderen Worten: Gut möglich, dass sich die ‚Fakten‘ der Operation Libero & friends dereinst als falsch entpuppen.

Wer schweigt, signalisiert Zustimmung

Aber selbst wenn wir nun von diesem Nebenschauplatz absehen, hat das ‚Faktenargument‘ ein anderes, viel wesentlicheres Problem: Qui tacet consentire videtur – wer schweigt, signalisiert Zustimmung. Der Verzicht auf die Rassismus-Kritik stellt Operation Libero sowie die linken und liberalen Kräfte, die ihrer Strategie folgen, in ein komplizenhaftes Verhältnis zu ihrem politischen Gegner – der SVP. Mit dem Verschweigen des rassistischen Gehalts des Plakat entsteht der Eindruck, man teile die Vorstellung, dass nicht-europäische Menschen, vor allem Muslime, tatsächlich keinen Teil der Schweiz bilden können.

Diese Haltung hat, nicht nur in der Schweiz, eine lange Geschichte. Sie wurzelt in der Gründungszeit der Schweiz in der Mitte des imperialen 19. Jahrhunderts. Der damals weitherum geteilte Konsens lautete, dass es grundsätzlich zweierlei Kategorien von ‚Fremden‘ gebe: Zum einen die ‚zivilisierten‘ und daher ‚assimilierbaren‘ – dazu zählten typischerweise christliche – idealerweise protestantische, aber zur Not auch katholische – Europäerinnen und Europäer. Zum anderen gab es die ‚unzivilisierten‘ und folglich wesensfremden, nicht-assimilierbaren Fremden, zu denen nebst den ‚Orientalen‘ auch die mit dem N-Wort bezeichneten Menschen aus Afrika sowie Jüdinnen und Juden, vor allem aus dem Osten, zählten. Von dieser in der Kolonialzeit entstandenen Unterscheidung zwischen assimilier- und nicht assimilierbaren ‚Fremden‘ war die europäische und schweizerische Fremdenpolitik das ganze 20. Jahrhundert hindurch geprägt – und ist es bis in die Gegenwart.[1]

Die Kritik am Verschweigen des SVP-Rassismus wurde in den letzten Tagen mit Hinweis auf ‚Pragmatismus‘ gekontert. Rassismus als solchen zu bezeichnen sei kontraproduktiv und gefährde den Erfolg der Einbürgerungs-Initiative. Man müsse, zugespitzt formuliert, den Rassismus hinnehmen und versuchen, die Wählerinnen und Wähler der Mitte mit „Fakten“ zu überzeugen. Nur so könne man die Einbürgerungshürde für die Dritte Generation abbauen. Dieser Konter ist meines Erachtens aus zwei Gründen problematisch. Erstens: Der Gang an die Urne ist ja ein Ausdruck von Demokratie. Rassismus ist das Gegenteil von Demokratie. Es stellt sich also die philosophisch-ethische Frage, welchen demokratischen Wert ein allfälliger Sieg an der Urne hätte, wenn er durch ein Schweigen zu Rassismus ‚erkauft‘ würde. Um es ganz deutlich zu machen: Angenommen, das SVP-Plakat würde anstatt einer Burkaträgerin eine orthodoxe Jüdin abbilden, würden wir einen Sieg, der durch Schweigen zu Antisemitismus errungenen wurde, ebenfalls als ein Sieg der Demokratie empfinden?

Es geht um ein anderes Selbstbild der Schweiz

Zweitens ergibt sich ein weiteres Faktenproblem. Laut einer Recherche des Journalisten Fabian Renz scheint faktisch nur ein kleiner Teil der Dritten Generation an der Einbürgerung interessiert zu sein. Im Jahr 2015 wurden nur etwa 4.5% AusländerInnen der dritten Generation eingebürgert. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Es hat sicherlich mit den hohen Hürden und Kosten zu tun. Viel wichtiger ist jedoch, dass der Schweizer Pass – insbesondere für EU-AusländerInnen – gar nicht so attraktiv ist. Zumal dann nicht, wenn die Schweizer Staatsbürgerschaft mit dem Verlust der anderen einhergeht. Man kann mit EU Pass ebenso gut in der Schweiz lieben, leben und arbeiten wie mit Schweizer Pass. Der einzige Vorteil des roten Passes ist die politische Mitsprache. Wer sich nicht für Politik interessiert, wird davon kaum angesprochen. Und viele, die sich für Politik interessieren, interessieren sich für die politisch meist viel gewichtigeren Fragen der EU-Staaten. Als Letztes kommt hinzu: wer erlebt hat, wie schäbig die eigenen Grosseltern und Eltern in der Schweiz oftmals behandelt wurden und den ausländerpolitischen Diskurs der Gegenwart verfolgt, hat gute Gründe zu sagen: ‚Wenn ihr uns nicht wollt, dann rutscht uns doch den Buckel runter!‘.

Kurzum: Nur eine Minderheit der Dritten Generation würde wohl von der erleichterten Einbürgerung Gebrauch machen. Und das heisst wiederum: Es geht bei der aktuellen Vorlage gar nicht primär um die Dritte Generation. Es geht vielmehr um die Seelenmassage der linken und liberalen alteingesessenen Schweizerinnen und Schweizer – es geht um ihr Selbstbild: Sehnen sie sich nach einer weissen-christlichen Schweiz, folgen sie der SVP und lehnen die Vorlage ab. Sehnen sie sich nach einer etwas liberaleren Schweiz, nehmen sie die Vorlage an. Da es also bei der Initiative selbst primär um Symbolpolitik zu gehen scheint: wieso nutzen wir aufgrund der Plakat-Debatten nicht die Chance, um die tatsächlich entscheidende Kontroverse zu führen? Das globalisierte 21. Jahrhundert wird nur schon wegen der demografischen Entwicklung weniger christlich und weniger weisse werden – auch in der Schweiz. Das verlangt nicht bloss nach Minireformen für die Dritte Generation, sondern nach einer schweizerischen Identiät, in der Rassismus grundsätzlich keinen Platz hat.

Ablenkunsmanöver von der USR 3?

Hinzu kommt noch ein weiterer Punkt. Wie alle SVP-Kampagnen ist auch die hier diskutierte enorm teuer. Wir wissen nicht genau, wie viel Geld die Partei ausgibt und woher das Geld für die konkrete Kampagne stammt. Ganz allgemein gesprochen ist aber die Überrepräsentation von Milliardären und Millionären in der ‚Volkspartei‘ Folge und Ausdruck des Siegeszuges eines seit den 1980er Jahren entstehenden neuen Finanzkapitalismus, dem sich die bürgerliche Mehrheit der Schweiz seit Jahrzehnten ganz gezielt andient. Zum einen, wie 2008 klar geworden ist, durch die implizite Staatsgarantie für die Schweizer Grossbanken, unter deren Führung der Schweizer Finanzplatz ca. ein Drittel des globalen Privatvermögens verwaltet. Zum anderen durch eine Steuerpolitik, die Kapitalerträge entlastet.

Die Steuerpolitik der schweizerischen Bankenrepublik zog nun lange Jahre nicht bloss ‚Weissgeld‘, sondern auch die ‚Assets‘ von Steuerbetrügern und Schwarzgeldwäscher an, was nach der Finanz- und Schuldenkrise 2008 von den USA und der EU nicht mehr toleriert werden konnte. Seither wurden diverse Schritte unternommen, die Bankenrepublik an die neuen Regeln der OECD anzupassen. Ein Herzstück ist die sogenannte Unternehmenssteuerreform 3 (USR 3), über die wir im Februar ebenfalls abstimmen.

Es ist nun wichtig zu sehen, dass einige der Hauptpromotoren und -profiteure der steueroptimierenden Bankenrepublik in der SVP sitzen, die mit einem Teil ihrer Gewinne, die ‚Buurezmorge‘, Burkaplakate usw. ihrer Partei finanzieren. Es ist nicht auszuschliessen, dass das provokative Burka-Plakat gar nicht primär dem Zweck dient, die Einbürgerungshürden für Ausländer der Dritten Generation – die sich ohnehin nur selten für den roten Pass interessieren – hoch zu halten. Vielmehr geht es womöglich darum, die öffentlich-politischen-journalistischen Ressourcen weg von der USR 3 Diskussion zu lenken. Die zu erwartenden 2-3 Milliarden Steuerausfälle hätten wirklich einschneidende Folgen. Dass mit der bürgerlichen Steuerpolitik insbesondere auch Kapital aus Saudiarabien und anderen Staaten angezogen werden soll, die Frauenrechte u.a. mit dem Verhüllungszwang beschneiden, verstärkt den Zynismus der Ausländerpolitik in der helvetischen Bankenrepublik (von den Waffenlieferungen an diese Staaten ganz zu schweigen).

Kurzum: ‚Fakten‘ sprechen nie für sich. Sie müssen ausgewählt, arrangiert und interpretiert werden. Im konkreten Fall lenkt die Faktenkampagne von Operation Libero, weiten Teilen der Medien sowie der politischen Linken und Liberalen von entscheidenden Fragen ab: Ist eine Demokratie, die zu Rassismus schweigt, wirklich demokratisch? Sollten wir nicht in erster Linie über die USR 3 reden, die auf Kosten ‚des Volkes‘ jenes Kapital weiter entlasten würde, mit der die ‚Volkspartei‘ ihren Traum von der eidgenössisch homogenen Bankenrepublik im Dienst der globalen Finanzoligarchie finanziert?

***

[1] Sie zeigte sich namentlich im schweizerischen Dreikreisemodell, sowie aber auch in der Unterscheidung zwischen EU/Efta Ausländern und ‚Übrigen‘.

Literatur zum Thema:
Damir Skenderovic, Fremdenfeindlichkeit, in: Historisches Lexikon der Schweiz, 5.5.2015

Sébastien Guex, Finanzplatz: in: Historisches Lexikon der Schweiz, 6.11.2012

Jakob Tanner, Geschichte der Schweiz im 20. Jahrhundert, München 2015, S. 466-550.

5 Kommentare

  1. Marco Gelmi sagt:

    ….sehr viele Worte – gar etwas Paranoia – aber schlüssig und wohl wahr.

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  2. Urs Loppacher sagt:

    Das Burka-Plakat ist natürlich rassistisch und es ist natürlich eine Ablenkung von der USRIII Betrügerei. Das Plakat ist aber auch faktenwidrig. Und wie. Warum soll man das nicht sagen dürfen? Es ist im Fall nicht egal wie die Einbürgerungsabstimmung ausgeht, Himmelarschundzwirn! Ich finde es total daneben, nun „weite Teile der Linken“ zu bezichtigen, sie hätten nichts begriffen. Kämpft für das JA zur Einbürgerungsvorlage und für das NEIN zur USRIII und braucht dafür alle sinnvollen Argumente.

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  3. schutzba sagt:

    Danke für den Kommentar, ich denke der Text legt nirgends nahe, dass der Ausgang dieser Initiative egal sei oder man sich nicht dafür engagiere. Dass die Einbürgerung der dritten Generation unbedint befürwortet werden soll, versteht sich doch von selbst. Zumindest aus der Position heraus, uas der dieser Text geschrieben wurde. Gerade innerhalb der Linken muss aber Kritik auch möglich sein. Ohne, dass das gleich als Tritt in den Rücken verstanden wird. Bernahrd Schär hat mit diesem Text aufgezeigt, wie viel weiter das Thema „Einbürgerung“ eigentlich reicht. Damit schliesst er aber doch nicht aus, sich für die EInbrügerungsvorlage oder USR 3 stark zu machen. Die sinnvollen Argumente sind aber ja bereits bekannt und kommunizerit worden, deshalb sei auch erlaubt, von der kritischen Seite her einen Grundsatzdiskurs anzuregen.

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    1. Thomas Heynen sagt:

      Hallo, in die Gedanken zum Text ist auch ein Kommentar von mir eingeflossen (siehe: https://www.facebook.com/bernhard.schar/posts/10153969754575683?comment_id=10153985610730683&notif_t=comment_mention&notif_id=1484555686650433).

      Ich habe den Text hier, zumindest den eher kleinen Teil der sich mit der Einbürgerungs-Abstimmung befasst, auch so verstanden, dass Herr Schär den Ausgang der Abstimmung als zweitrangig sieht, hinter der Rassismus Debatte, er schreibt:
      „Da es also bei der Initiative selbst primär um Symbolpolitik zu gehen scheint: wieso nutzen wir aufgrund der Plakat-Debatten nicht die Chance, um die tatsächlich entscheidende Kontroverse zu führen?“

      Und genau da ist aus meiner Sicht der Knackpunkt. Ich bin mir ziemlich sicher, dass Herr Schär und ich eine zumindest auf gleichen Grundsätzen beruhende Vorstellung davon haben, wohin wir uns als Gesellschaft entwickeln sollten, der Weg dorthin unterscheidet sich aber. Während Herr Schär den Grundsatzdiskurs, den ich durchaus unterstütze, über alles stellt, selbst wenn es der aktuellen Initiative schadet, was natürlich nur meine These ist (wobei der Text hier auch eine ganze Menge Annahmen trifft), befürworte ich, dass die Annahme dieser Initiative ein Schritt in die richtige Richtung wäre und kleine Schritte und das Erleben derer Konsequenzen zu Verständnis führen und darum ist sie wichtig. Im Zusammenhang mit den Abstimmungen ist der Grundsatzdiskurs also genau so Rauchpetarde, gleich für beide hier thematisierten Abstimmungen.

      Zu guter letzt ein Kommentar zum „Grundsatzdebatten-Teil“ des Textes, der auch etwas die Krux der Grundsatzdebatte illustriert: oft wird sie in einer akademischen Bubble geführt, ich behaupte nach Sätzen wie „Der reaktionäre Konservativismus der europäischen Alteingesessenen“, sind viele Leute abgehängt => l’art pour l’art.

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