Ist Schutzbach noch tragbar?

Gestern erschien in der SVP-nahen Basler Zeitung ein hetzerischer Text gegen mich. Am Ende konnten die Leser*innen per Klick abstimmen, ob ich als Dozentin an der Universität Basel noch tragbar sei. Unnötig zu erwähnen, dass der Artikel voller falscher Behauptungen und Unterstellungen war.

Wie es scheint, bin ich, als Frau, Feministin, Genderforscherin – und nicht zuletzt als Kritikerin von rechten Positionen – eine Art wahrgewordener Albtraum der Schweiz. Oder zumindest eine Provokation. Kommt hinzu, dass ich in meinen Texten oft satirische Stilmittel verwende. Auch das kommt nicht gut an (oder wird von vielen Schweizern nicht verstanden?), werden doch meine Vorschläge, dass Taxifahrer rechte Politiker nicht mehr mitnehmen sollen, in der Schweizer Presse nun todernst (wirklich todernst!) diskutiert.

Nicht nur der BaZ-Text, sondern auch das Vorgehen der Zeitung ist ein Lehrstück für Kampagnen-Journalismus und unsaubere journalistische Abreit: Die Baz hat mich am Dienstag angeschrieben, mit ungefähr zehn Fragen. Ich habe sie alle beantwortet. Am nächsten Tag erschien aber nur der hetzerische Text, ohne meine Antworten und Klarstellungen. Nur mit einem einzigen Satz von mir. Den ich nicht mal abgenickt habe, sondern zurückzog. Denn ich war nicht einverstanden, dass nur ein Satz erscheint, nachdem ich mir ausführlich Zeit genommen hatte. Der Journalist schrieb, ich könne ja dann eine Replik verfassen. Dem stimmte ich nicht zu.

Heute brachte nun die BaZ, im Anschluss an den Hetzartikel, scheinheilig, nachdem sie mich geköpft hatte (achtung Zuspitzung, Ironie, Satire…), meine Antworten vom Dienstag. Verpackt als Replik von mir. Auch dieser Veröffentlichung habe ich nie zugestimmt und ich verlinke hier deshalb auch nicht auf die Baz (es wird über dieses unsaubere journalistische Vorgehen noch ausführlich berichtet, es gibt ja zum Glück auch ein paar Nicht-SVP-Zeitungen im Land).

Im folgenden sind die Fragen der Baz und meine Antworten, die nie in den Text Eingang fanden, für den sie eigenlich gedacht waren, für den sie mir gestellt wurden. Es wird deutlich, dass die Baz, wenn sie meine Antworten in ihren Text hätte einbauen wollen, nicht hätte schreiben können, was sie schreiben wollte. Und es wird damit deutlich, dass es nie um einen Diskurs ging, sondern von Anfang an darum, mich öffentlich an den Pranger zu stellen und mir als Person, als Forscherin und Dozentin zu schaden.

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Die Fragen der BaZ:

– In Ihrem Essay «Sofortiger parlamentarischer Ungehorsam» fordern Sie, dass man die politischen Aktivitäten von sogenannten Rechtsnationalen nicht mehr bearbeiten solle. Des Weiteren schlagen Sie vor, dass man «rechte» Politiker nicht mehr öffentlich auftreten lassen solle, und fordern einen Boykott von Transportunternehmen gegenüber Politikern einer bestimmten Couleur. Wie begründen Sie diese Aussagen?

– Ist es korrekt, dass Sie bestimmten Politikern den Mund verbieten möchten?

– Dieser Aufruf kann als Aufruf zur Diskriminierung von Personen mit einer bestimmten politischen Einstellung verstanden werden. Wie sehen Sie das?

– Politikern und anderen Personen die Möglichkeit nehmen zu wollen, sich frei und öffentlich zu Themen zu äussern, kann als Verstoss gegen Art. 16 «Meinungs- und Informationsfreiheit» der Bundesverfassung gedeutet werden. Würden Sie einen solchen Verstoss tatsächlich begrüssen?

– Ist es Ihnen noch möglich, gemäss dem Auftrag der Universität Basel, wissenschaftlich und politisch neutral zu forschen und zu dozieren?

– In mehreren Beiträgen nennen Sie die Neue Zürcher Zeitung in einem Atemzug mit der Rechtsaussenpartei AfD. Wie kommen Sie dazu?

Meine Antworten:

Es ist WissenschaftlerInnen und MitarbeiterInnen der Universität Basel nicht untersagt, ihre politische Meinung öffentlich zu äussern und das Zeitgeschehen zu kommentieren. Da ich ein politischer Mensch bin, beteilige ich mich an öffentlichen Debatten. Die von Ihnen erwähnten Blogs und Artikel sind völlig unabhängige Projekte, die keinerlei Finanzierung oder Förderung durch die Universität erhalten. Sie sind Privatsache.

Weiter: Es gibt einen Unterschied zwischen Meinungen, politischen Beiträgen zur öffentlichen Debatte und Wissenschaft. Diesen Unterschied lehre ich auch den Studierenden an der Universität Basel. Gleichzeitig geschieht Wissenschaft nicht im luftleeren Raum, sondern ist in ihren Methoden, Fragen und Zugängen immer auch vom Zeitgeschehen beeinflusst, von vorherrschenden Interessen und so weiter. Es ist mittlerweile eine erkenntnistheoretische Binsenweisheit, dass Wissenschaft natürlich immer gefärbt ist von Zeitfragen und nicht zuletzt von den Subjekten, die Wissenschaft betreiben.

Im Unterschied zur «Meinung» wird wissenschaftliches Wissen jedoch methoden- und theoriegeleitet hergestellt, damit wird eine Überprüfbarkeit gewährleistet und eine Einreihung in bereits vorhandene Erkenntnisstände, an die Wissenschaft anzuknüpfen in der Lage sein muss. Selbstverständlich wird auch an der Universität politisch diskutiert (es ist ja kein Raum jenseits der Welt), aber das wissenschaftliche Arbeiten und Wissensproduktion selbst stützt sich in den Gender Studies, wie in jedem anderen Fach auch, auf methodische und theoretische Prämissen und Traditionen.

Kein Maulkorb

Natürlich kann Wissenschaft selbst auch gesellschaftskritisch sein, in den Geisteswissenschaften sind kritische Forschungsansätze verbreitet, aber auch diese folgen klaren Methoden und Theorietraditionen, der Prozess der Erkenntnisgewinnung wird immer offengelegt. Und ist folglich auch streitbar oder widerlegbar. All das macht eine florierende und freie Wissenschaftskultur gerade aus.

Im Unterschied dazu schreibe ich Blogs nicht methodengeleitet. Oft handelt es sich um persönliche, subjektive Haltungen und Gedanken zum Zeitgeschehen, nicht selten auch biografisch (über das Muttersein zum Beispiel), die ich oft auch satirisch unterfüttere, zuspitze oder übertreibe. Natürlich fliesst in meine Blogs auch wissenschaftliches Wissen und Analyse ein, aber der generelle Anspruch meiner Blogs oder Artikel sind «Kommentare» zum Zeitgeschehen und haben nicht einen im strengen Sinne wissenschaftlichen Anspruch.

Nein, ich möchte niemandem den Mund verbieten, ich fordere keinesfalls staatliche beziehungsweise gesetzliche Massnahmen, die Artikel 16 der Bundesverfassung widersprechen oder diesen gefährden. Der konkrete Blogeintrag von mir ist ein Aufruf an Individuen, nach ihrem ethischen Gewissen zu handeln und menschenrechtsfeindliche, menschenfeindliche, rassistische Akteure oder Handlungen zu boykottieren, im Sinne von «stell dir vor, es ist Krieg, und keiner geht hin».

Es geht nicht um Diskriminierung, sondern um die Frage, wie sich Individuen verhalten könnten, wenn sich zunehmend menschenfeindliche Politik durchsetzt – und ja, auch Unternehmer, Chefs von Fluggesellschaften zum Beispiel, können sich das fragen: Ab wann geht es darum, aus ethischen Gründen etwas nicht mehr mitzumachen, Zivilcourage zu zeigen? Zum Beispiel eben keine Werbung mehr in bestimmten Zeitungen zu schalten? Das mit den Transportunternehmen war natürlich eine Zuspitzung, es ist ein satirisches Mittel, mit dem ich oft arbeite (siehe auch meinen Text: «Beim nächsten Mal trinken wir Menstruationsblut», oder der Text im Internet, in dem ich schreibe, Lesben würden demnächst zum Glück die Macht ergreifen, man müsste Männern die Weltherrschaft wegnehmen). Ich hoffe, Sie wissen dies zu unterscheiden.

Was ist rechts? Was ist links?

Aber gerne auch noch mal ernst: Wenn ein Transportunternehmen, ein Taxifahrer, sich weigert, einen Diktator zu transportieren, ist das dann Diskriminierung? Wie gesagt, es geht um individuellen Ungehorsam, nicht darum, dass der Staat so etwas einführen soll. Und gerne kann man über meine Gedanken streiten, ich beanspruche nicht, recht zu haben, es geht um Diskussionsbeiträge. Und diese stelle ich zur Debatte.

Die Definition, ab wann eine Politik menschenfeindlich oder rechtspopulistisch ist, wer und was links oder linksradikal, ist selbstverständlich eine Frage, die nicht so leicht objektiv beantwortet werden kann, sondern aufgrund von politischen Standpunkten und Perspektiven. So tue ich dies auch in meinen Blogbeiträgen. Ich schätze vermutlich bestimmte Akteure anders ein als Sie, weil wir unterschiedlicher politischer Ansicht sind (wobei es zu der Frage, wie extrem die SVP ist, auch wissenschaftlich fundierte Untersuchungen gibt, auf die ich mich, jedenfalls indirekt, beziehe, so zum Beispiel auf die Arbeiten von Professor Skenderovic (Universität Fribourg), gemäss denen die Politik der SVP klar attraktiv ist für rechtsextreme Akteure.

Wie rechtspopulistisch ist die SVP?

Weiter ist gemäss Skenderovic unbestritten, dass die SVP eine ausgrenzende und fremdenfeindliche Politik betreibt. Ein Vergleich mit der AfD oder anderen europäischen rechtspopulistischen Parteien ist – zumindest in Teilen – nicht völlig an den Haaren herbeigezogen. Nicht zuletzt sind einige Plakatkampagnen der SVP vom Bundesgericht als rassistisch eingestuft worden. Und SVP-Kader Martin Baltisser wurde jüngst wegen Rassendiskriminierung verurteilt.

Ich denke, dass wir eine Tendenz erleben, die in Richtung reaktionäre, rechtspopulistische Politik geht, von Donald Trump bis Polen, AfD, Erdogan, Putin und so weiter – und ja, dazu gehört für mich teilweise auch die SVP mit ihren Anliegen, Menschenrechtskonventionen aufzukünden, Burkas und Minarette zu verbieten oder Inserate zu schalten, die ganze Menschengruppen (zum Beispiel Kosovaren) rassistisch attackieren.

Auch gibt es zahlreiche Ähnlichkeiten in der Rhetorik von SVP und SVP-nahen Medien mit AfD-PolitikerInnen und Positionen bezüglich Gender, Feminismus, Gleichstellung, Political-Correctness-Bashing, Migration, Islam et cetera. Auch das NZZ-Feuilleton hat sich in den letzten Monaten zunehmend in diese Rhetorik eingereiht. Diese Diskursähnlichkeiten lassen sich wissenschaftlich aufzeigen.

9 Kommentare

  1. Andreas Kermann sagt:

    Locker bleiben – die – meisst männlichen – „Kinder“ müssen sich halt mal austoben.
    Im Übrigen war das ethische „Werbeverbot“ ein Volltreffer – BAZ versenkt! 🙂

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  2. Norbert Finzsch sagt:

    Aus eigener Erfahrung kann ich nur sagen, dass es sehr wichtig ist, nicht klein beizugeben und eine Gruppe von UnterstützerInnen zu haben, die einen trägt und solidarisch ist. Meine Unterstützung haben Sie! Was können wir konkret tun? Ich werde der Redaktion einen Brief schreiben…

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  3. Genau, was können wir konkret tun? Sollte man eine konzertierte Aktion starten oder ist das zu viel Ehre für die BaZ?

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  4. Marcus Maria Moeller sagt:

    Satire und Ironie sind in schriftlicher Form nach meiner Erfahrung nur seh schwer zu transportieren. Insbesondere dann, wenn es nicht erwartet wird.

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  5. Jérome Beauverd sagt:

    Bravo et merci!
    Wünsche viel Mut und Energie, wird in den nächsten Tagen notwendig…

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  6. „… Nur mit einem einzigen Satz von mir. Den ich nicht mal abgenickt habe, sondern zurückzog. Denn ich war nicht einverstanden, dass … . Dem stimmte ich nicht zu.
    … Verpackt als Replik von mir. Auch dieser Veröffentlichung habe ich nie zugestimmt …“

    Es klingt vielleicht hart, aber dein Fehler – und nicht der Fehler der BAZ – war es, auf ihre Fragen überhaupt zu antworten. Hättest du nicht geantwortet, hätten sie nichts zu zitieren und nichts zu manipulieren gehabt.

    Du hättest auch wissen können, was zu erwarten ist: dass sie dich unendlich genüsslich in die Pfanne hauen werden, wenn sie nur irgendwie können (unterschätz nur nie den Furor verletzter rechter Gefühle…), war ja eigentlich absehbar, nicht?
    Die Massnahmen, die du empfiehlst, um der Rechten mal klare Grenzen zu setzen, hast du dir ja wohl nicht ohne Grund ausgedacht? Leider scheint dieser Grund sehr real zu sein. Auch diesen darf man nicht unterschätzen. Was heraus kommt, wenn du inkonsequent bist, hast du jedenfalls gerade gelernt: sie legen dich gnadenlos aufs Kreuz.

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  7. Nestor Amrain sagt:

    Peinlich, wie auch Leute aus der Mitte und von Links rennen, die Demokratie zu retten, ohne dass sie den Text gelesen hätten. Wasserträger der Verwirrung, die sich in eine Empörung einspannen lassen, welche den Boden für rechtspopulistisches Demokratieverständnis bereiten hilft.
    Ausserdem ist der Text deutlich als Denk-Experiment formuliert. Die Autorin deswegen als ‚untragbar‘ abzuqualifizieren, impliziert das Ideal, experimentelles Denken solle verboten werden. Gepaart mit dem Vorwurf, solch experimentelles Denken sei undemokratisch, wirkt das alles doch etwas seltsam.
    Privater Boykott mag zuweilen unanständig sein, die Demokratie ist davon nicht berührt.

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