Ich will Arsch schauen

Der Tagesanzeiger Stadtblog brachte heute eine Kolumne von Reda el Arbi, in der es um die Frage ging, ob eigentlich Männer Frauen in der Öffentlichkeit anschauen dürfen, wenn diese sexy gekleidet sind. Fazit: Ja, sie dürfen und ja, Frauen dürfen aber auch sagen, wenn sie das nervt. Blicke können unangenehm sein, aber so ist das nun mal, das biologisch-evolutionäre Programm werde bei Männern so abgespult, dass sie bei nackter Haut hinschauen (müssen). Dies sei nicht Ausdruck der Unterdrückung der Frau und auch kein Zeichen dafür, dass Frauen als Objekte betrachtet werden.

Nun, man möchte sich ja mit anderem befassen. Ich selbst möchte mich mit anderem befassen als mit provozierenden Kolumnen. Dennoch hier meine Einschätzung. Damit ist dann aber auch gut. Reda El Arbi fällt mit seiner opportunistischen Themensetzung zu Gender/Feminismus schon länger auf, Philippe Wampfler hat ausführlich mit ihm gestritten, das muss alles nicht wiederholt werden.

In seiner Kolumne jedenfalls schreibt El Arbi: Jeder habe das Recht, sich im öffentlichen Raum zu bewegen, ohne belästigt zu werden. „Aber Blicke gehören da nicht dazu. Sexuell motivierte Blicke sind nicht Ausdruck der Unterdrückung der Frau, sie sind Ausdruck des Menschen als sexuelles Wesen. Solche Blicke werden nicht vom Bewusstsein gesteuert, sondern kommen reflexartig und sind Teil des evolutionären Programmes.“

Niemand soll also belästigt werden. So weit, so einig. El Arbi legt dann aber nahe, es gäbe eine Art „neutrale“ Sexualität, eine, die sich jenseits von Machtverhältnissen abspiele – dazu gehören zum Beispiel Blicke. Dass es auch im „Blickverhalten“ Varianten gibt, schliesst er zwar nicht aus (auch er ist der Meinung, dass offensives Glotzen nicht angenehm ist), allerdings erkennt er darin keinerlei gesellschaftliche Schieflagen, sondern nur Effekte eines Fortpflanzungstriebes, bei dem Männer auf nackte Haut reagieren. Dass auch „Blicke“ als kulturelle Verhaltensweisen machtförmig sein können (nicht müssen), interessiert El Arbi nicht, dass auch Blicke Frauen zu Objekten machen können (aber nicht müssen), unterschlägt er.

Nicht jeder Blick ist sexistisch oder machtförmig. Darin stimme ich überein. Ich selber habe nicht grundsätzlich etwas dagegen, angeschaut zu werden. Es gibt viele Blicke, mit denen ich gut klar komme, die mir manchmal sogar schmeicheln. Viele Männer wissen ganz genau, wie das geht. Sie „glotzen“ nicht. Im Unterschied zu El Arbi habe ich offenbar eine bessere Meinung von Männern: Ich erfahre in der Regel respektvolle Blicke, die Gefallen ausdrücken, ohne zu objektivieren. Sowas geht, es ist überhaupt nicht schwierig. Und ja: Ich erlebe natürlich auch genau das andere: Blicke, bei denen ich mich unwohl und belästigt fühle.

El Arbi weigert sich, sich ernsthaft mit diesem Unterschied zu befassen. Und legitimiert damit, dass alle Blicke letztlich okay, ja gar notwendig sind, selbst dann, wenn sie objektivieren. Zwar darf Frau sich wehren, vom „Schauenden“ fordert El Arbi aber keine Reflexion. Anhand der Fortpflanzungs-Biologie behauptet er, diese Blicke seien eine Art männliches „Muss“. Damit weigert er sich erstens zu reflektieren, inwiefern auch Blicke Teil eines Machtregimes sein können (nicht müssen!), in dem es durchaus um die Objektivierung des weiblichen Körpers gehen kann (was nicht heisst, dass Frauen dann automatisch „Opfer“ sind). Zweitens reduziert er Sexualität auf ein rein heterosexuelles Projekt: Sexualität entspringe dem „Fortpflanzungsdruck“. Diese enge Sicht auf Sexualität macht es El Arbi möglich, ein Konstrukt aufzubauen, in dem Blicke nach einem neutralen und deshalb nicht-kritisierbaren Programm ablaufen, in dem Männer keine Akteure sind, sondern gesteuert durch die Notwendigkeit der Natur. Ein (gefährliches) Argument, mit dem sich letztlich jede Praxis legitimieren lässt.

Wer nun El Arbi widerspricht, und sei es nur ganz leise, landet sofort in der Moral-Ecke, Sexualität unterdrücken zu wollen. Solche Texte haben die Absicht, Kritiker_innen in eine Patt-Situation zu manövrieren. Ich habe in den vergangenen Jahren noch nie erlebt, dass mir in Diskussionen auf facebook von El Arbi nicht „sexuelle Prüderie“ oder Moralismus vorgeworfen worden wäre. Eine andere Stossrichtung der Diskussion war nie möglich, spätestens das zweite Argument war: ich wolle Sex verbieten und Frauen zu Opfern machen (oder so ähnlich).

Auch wenn El Arbi mir das nicht glaubt: Nein, ich will nicht Sex verbieten, verleugnen oder Blicke „unterdrücken“, wie El Arbi es den ‚moralistischen Feministinnen‘ – ich glaube das ist sein Lieblingsfeindbild – in Diskussionen unterstellt. Und ja: Blicke verletzen nicht auf die gleiche Weise die persönliche Freiheit, wie es (andere) Belästigungen, Sprüche oder Schlimmeres tun. Das heisst aber nicht, dass Blicke nicht auch objektivierend sein können. Vor allem dann, wenn sie überall sonst, aber nicht in die Augen gehen. In manchen Blicken schwingt eine sexistische Anspruchshaltung: ‚ich kann dich unverhohlen anglotzen, weil ich das Subjekt bin und du das Objekt‘.

El Arbi will sich auf eine solche Differenzierung aber nicht einlassen, denn für ihn steht fest: Sexuell motivierte Blicke sind Ausdruck des Menschen als sexuelles Wesen. Wer sich sexy kleidet, muss auch mit Blicken rechnen. Er schreibt: „Wir können nicht sexuelle Botschaften aussenden und erwarten, dass diese keine Reaktion hervorrufen. Solange die Reaktionen die persönliche Freiheit nicht verletzten, muss man damit leben. Und Blicke sind nicht verboten.“

Einmal abgesehen davon, dass auch dann gestarrt wird, wenn man mit einem Rollkragenpulli rumläuft: Natürlich sollen Blicke nicht verboten werden, aber sie können reflektiert werden, wie jede andere Handlung auch. Denn sie sind Teil von gesellschaftlichen Verhältnissen – wie jede andere Handlung auch. Genau das negiert El Arbi in seiner Argumentation.

Weiter argumentiert er, alle  Blicke seien letztlich deshalb ok, weil sie die „persönliche Freiheit“ nicht einschränken. Was El Arbi unter „persönlicher Freiheit“ versteht, scheint mir recht kurzsichtig. Bin ich dann frei, wenn ich grad nicht vergewaltigt werde? Kürzlich sass ich in einem Kaffee, es kam ein mittelalterlicher Mann herein, ich sass an meinem Laptop und schrieb. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie er sich direkt gegenüber von mir positionierte und mich dann taxierte. Er starrte in meinen (nicht sehr grossen) Ausschnitt, musterte mich unverhohlen. Ich nahm meine Sachen und setzte mich an einen anderen Platz, so dass zwischen mir und ihm eine Säule war. Der Mann aber lehnte sich einfach nach vorne und starrte an der Säule vorbei nach mir. Ich wurde wütend, und sagte, er solle aufhören. Worauf er entrüstet ausrief, das sei ja wohl eine Frechheit. Ich stand auf und ging. Was hätte ich anderes tun sollen? ich musste dringend einen Text abgeben, hatte keine Zeit für Auseinandersetzungen. Meine „persönliche Freiheit“ war zu gehen, obwohl ich eigentlich gern dort weiter gearbeitet hätte. Ich war also diejenige, die gehe musste, mein Bewegungsraum wurde durch die Blicke dieses Mannes direkt eingeschränkt.

Natürlich gibt es umgekehrte Situationen, in denen Männer sexistisch objektiviert werden. Auch Männer erfahren Sexismus. El Arbi schliesst seinen Text, indem er beschreibt, wie zwei Frauen über das Aussehen eines Mannes tuscheln. Aber was will er damit sagen? Dass für Frauen Alltagssexismus kein Problem mehr sei, da sich die Verhältnisse auch jederzeit umkehren liessen? Auch Männer erfahren Sexismus, aber dabei kann einfach nicht von einer gesellschaftlichen Gesamtdynamik gesprochen werden, oder von einer einfachen Umkehrung. Wenn Männer auf ihre Sexyness reduziert werden, geschieht dies vor einem anderen kulturhistorischen Hintergrund, das heisst ihr Subjektstatus steht dadurch als Gruppe nicht ernsthaft infrage.

Sowieso unterschlägt El Arbi die kulturhistorische Bedeutung des Blicks und reduziert ihn auf ein rein biologisches Programm. Wie Laura Mulvey in ihrer Filmtheorie gezeigt hat, ist der aktive Blick „männlich“. Das heisst in den meisten Filmen wird die Kamera gemäss einer androzentrischen Ordnung geführt, in der Männer den sehenden Part haben und Frauen den Part des gesehen werdens. Kurz: Männer schauen, Frauen werden geschaut. Das hat damit zu tun, dass historisch das Subjekt männlich konnotiert war: Mensch = Mann, Bürger = Mann (in der Schweiz durften Frauen erst ab den 1970er Jahren abstimmen). Natürlich hat sich seither vieles verändert. Aber ein Blick in die Popkultur zeigt bis heute, dass Frauen oft Ausstattung, Dekoration, Sexobjekt sind (was sogar El Arbi in seinem Text bestätigt). Frauen sind oft dazu da (zum Glück nicht immer), um angeschaut zu werden.

Das heisst noch lange nicht, dass Frauen, die sich in eine solche Position begeben und ihren Ausschnitt in die Kamera halten oder im Minirock herumlaufen per se „Opfer“ sind, oder Unterdrückte. Natürlich sind sie Akteurinnen, die auch eine freie Wahl oder einfach verschiedene Stile haben. Aber die sexistische Grundlogik, nach der wir in einem System leben, das einen grossen Teil seiner Dynamik daraus zieht, Weiblichkeit in der Objekt-Position zu halten, bleibt auch dann bestehen, wenn Frauen diese Dinge freiwillig tun und damit manchmal gut Geld verdienen. Die Grundlogik zeigt sich auch in manchen (sexuellen) Impulsen von Individuen. Dass sexuell intendierte Blicke davon ausgenommen und von kritischen Reflexion ausgeschlossen sein sollen, will mir einfach nicht einleuchten.

In einem weiteren, ziemlich raffinierten Schritt, stellt El Arbi das Nachdenken über sexuelle Impulse unter Scharia-Verdacht. Er schreibt: „Wenn wir gegen diese urmenschlichen, sexuellen Impulse vorgehen, verleugnen wir nicht nur unsere Natur, wir bewegen uns (…) auf dem gleichen Pfad wie die islamistischen Sittenwächter (…).“ El Arbi verwendet hier klassisches populistisches Derailing: er trivialisiert ein Thema (Sexismus im Alltag) indem er es in eine völlig andere Richtung lenkt und die grösste vorstellbare Horror-Vision aufbaut: Terror. Wer jetzt noch über Blicke als potentiell machtförmige Alltagspraxen nachdenkt, ist schon so gut wie bei der Terrormiliz.

Diese Diskursstrategie wurde hundertfach benutzt in der Rhetorik gegen Political Correctness. Aus dem PC-Bashing erfolgt meistens eine Opfer-Täter-Umkehrung, bei der plötzlich diejenigen die „Opfer“ sind – Opfer der bösen PC-Diktatur – die vergewaltigen, rassistische Sprüche machen, oder eben gern nackte Haut „schauen wollen“, ohne sich mit der nervigen Frage befassen zu müssen, wie Blicke eigentlich wirken.

Ich werde insgesamt den Eindruck nicht los – auch bei der Lektüre anderer Texte von El Arbi –  dass diese Texte vor allem eines im Sinn haben: Reaktionen zu provozieren (wie jetzt meine), denen dann genau das unterstellt werden kann: Politisch korrekte Moral-Wächter zu sein. Deswegen lohnen sich weitere Auseinandersetzungen für mich auch nicht.

Vielleicht noch dies: Wenn ich der Meinung bin, auch sexuell intendierte Blicke seien unterschiedlicher Art und müssten diskutiert werden, dann heisst das natürlich nicht, dass ich sexuelle Impulse allgemein unterdrücken will. Für mich bedeutet in einer Demokratie zu leben aber, dass alles, ausnahmslos alles verhandelbar ist. Auch Blicke. Auch Biologie. So zu tun, als gäbe es Felder, die jenseits von gesellschaftlichen Verhältnissen einfach „so sind“, wie sie sind, und zu unterstellen, darauf hätten Menschen keinen Einfluss, ist historisch wie aktuell falsch. Das Argument, es sei einfach Biologie, hat man schon vor 200 Jahren gebracht, als die Vagina noch als ein nach innen gestülpter Penis definiert war und Frauen folglich als „minderwertige Männer“.

Wie wir Biologie einschätzen, sie kulturell integrieren, mit ihr umgehen, ist variabel, veränderbar und liegt – ein Stück weit – in unserer Macht. Wenn das nicht so wäre, würden wir es heute noch gemäss der Alt-griechischen Kultur notwendig finden, dass erwachsene Männer kleine Jungs verführen, oder wir würden heute noch mit der Gebärfähigkeit von Frauen deren politische Ungleichheit begründen.

8 Kommentare

  1. Ronnie Grob sagt:

    Ich glaube, es gibt einfach höfliches, dezentes Gucken und unhöfliches, unangenehmes Gucken. Das kriegen leider nicht alle hin und auch nicht immer, und ja, Männer meistens schlechter als Frauen. Dennoch: Mit «Wenn Männer auf ihre Sexyness reduziert werden, geschieht dies vor einem anderen kulturhistorischen Hintergrund, das heisst ihr Subjektstatus steht dadurch nicht ernsthaft infrage» bin ich nicht einverstanden. Falls so etwas in unangenehmer Weise passiert (was in der Realität zugegebenermassen wohl kaum oft der Fall ist), dann kann man das doch nicht einfach weniger schlimm als umgekehrt, nur weil es einen anderen kulturhistorischen Hintergrund hat, oder?

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    1. schutzba sagt:

      Nein,nicht weniger schlimm. Aber wie du selber schreibst: es entspring nicht einer gesellschaftlichen Systematik. Und das ist ein grosser Unterschied.

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  2. Franzl sagt:

    Die Autorin glaubt also ernsthaft Feministinnen seien Herr El Arbis liebstes Ziel. Da hat sie wohl noch keinen seiner top recherchierten Artikel über Fussball-Fans gelesen.
    Das Argument mit der fehlenden gesellschaftlichen Systematik bei der Sexyness des Mannes ist wieder mal feministische Rosinenpickerei.

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    1. schutzba sagt:

      Ich habe schon Texte von Reda El Arbi gelesen, die mir gut gefallen haben. Es geht um dieses spezifische Thema, und in Diskussionen kommt es dann (auf social media) fast immer zu dem Punkt, wo El Arbi ein Feindbild moralistischer Terror-Feministinnen aufbaut, und sich weigert, wirklich inhaltlich zu diskutieren. Und zum Männerthema: wie gesagt, Männer haben auch zu leiden. Aber es ist einfach nicht so, dass ein entscheidendes Problem der Männer als „Gruppe“ darin besteht, Sexismus durch Frauen zu erfahren.

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  3. Sehr gut gesagt, gut auf den Punkt gebracht! Danke!

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  4. Thomas sagt:

    „….die vergewaltigen, rassistische Sprüche machen, oder eben gern nackte Haut „schauen wollen“…“ – und das, nachdem du dich im Abschnitt davor über Derailing mockiert hast, da musste ich dann schon schmunzeln.

    Ich mag deine Auseinandersetzung mit dem Thema. Beim „Biologie ist verhandelbar“ erinnerte ich mich an einen vor Jahren gelesenen Artikel, mit der Aussage „je mehr Biologie unterdrückt wird, desto mehr Aggression“. Es ging dabei neben Bewegung, „Weite“ (vs. Gefängiszelle), Nahrung auch um Sexualität. Leider finde ich ihn nicht mehr. Wäre für mich ein wichtiger Teil der Diskussion, denn das Ziel scheint mir Aggressionsminderung zu sein (individuell wie systemisch).

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  5. juscrit sagt:

    Die Autorin hat in ihrem – wie ich finde – super Text ja schon erkannt, dass El Arbi immer wieder provokant schreibt … damit möchte er wohl auch eine Diksussion anfeuern, wie sie hier gerade auch stattfindet.

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  6. Niemand kann mir weismachen, dass die/der Guckende nicht merkt, ob es der/dem Beguckten GE- oder MISSfällt. Soweit alles klar? Ok! Einzig und allein die/der Beguckte entscheidet, ob es ihr/ihm angenehm oder unangenehm ist beguckt zu werden. Es ist ihr/sein gutes Recht dies zu signalisieren und, wo das Signal nicht verstanden wird, die Missbilligung offen kundzutun. Die oder der Guckende hat dies dort zu unterlassen wo Gucken unerwünscht ist. Insbesondere dann, wenn von Seiten der/des Beguckten bereits deutlich darauf hingewiesen wurde, dies zu unterlassen.
    Das hat verdammt noch Mal mit Anstand zu tun und ist niemals verhandelbar. KLAR!

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