Verschleiert oder verblendet?

GASTBEITRAG

Die bekannte französische Feministin und Soziologin Elisabeth Badinter hat sich in einem Interview zur Burka-Frage geäussert. Das Gespräch wurde in der Schweiz breit rezipiert.

Eine Replik von Charlotte Heer Grau

Am Wochenende erschien in verschiedenen Zeitungen das Interview der Journalistin Martina Meister mit der französischen Soziologin Elisabeth Badinter, unter Titeln wie „Burkini am Nizza-Strand ist Gipfel der Unhöflichkeit“ in der „Welt“, „Die Burka geht derzeit nicht“ im „Tages-Anzeiger“, „Es zeigt, wir sind am Ende“ auf dem Online Portal vom „Tages-Anzeiger“ oder „Die Burka geht im Moment einfach nicht“ im „Bund“. Der Tages-Anzeiger teaserte das Interview auf der Frontseite mit „Feministin Badinter fordert Burkaverbot“.

Badinter ist eine prominente intellektuelle Stimme in Frankreich und hat sich – ähnlich wie Alice Schwarzer in Deutschland – in der Vergangenheit immer wieder gegen den Islamismus und zur Frage der Verschleierung geäussert. Badinter steht für Laizismus, Menschenrechte und ist klar für eine gesetzliche Kleiderregelung. Ihre Positionen zur aktuellen Debatte haben am Wochenende auch in der Schweiz erheblich Aufmerksamkeit erhalten. Im Interview spricht die Feministin über die Angst, die in Frankreich seit den verschiedenen Anschlägen vorherrschend ist und plädiert dezidiert dafür „die Werte der Republik zu verteidigen“.

Natürlich ist die Angst in Frankreich nachvollziehbar. Dennoch möchte ich im Folgenden einige Äusserungen von Badinter diskutieren, die – gerade aus dem Mund einer Wissenschaftlerin – doch recht spekulativ und problematisch anmuten.

Schon mit ihrer ersten Antwort irritiert die Soziologin, wenn sie – ohne empirische Quellen – behauptet: „Denn diese Frauen tragen den Burkini, nicht weil sie unsichtbar sein, sondern weil sie auffallen wollen.“ Die Journalistin fragt nicht nach und man darf mit gutem Grund daran zweifeln, dass es diesbezüglich Untersuchungen gibt. So bleibt die Frage: „Who the hell is she, to know, what other people think?“

Badinters Behauptung ist interessant, weil Musliminnen eine Art Boshaftigkeit zugeschrieben wird. Während verschleierte Frauen sonst oft als handlungsunfähig und unterdrückt dargestellt werden, zeigt sich hier eine Verschiebung: Diese Frauen tun das mit Absicht! Eine Sichtweise, die vermutlich deshalb besticht, weil muslimische Frauen auf diese Weise nicht als unterdrückt gelten müssen, um entschleiert zu werden. Sie erhalten den Status politischer – in Badinters Worten: „unhöflicher“ – Akteurinnen, die sich mit ihrer Kleidung gezielt gegen die Werte der Republik wenden. Ein Burka-Verbot ist somit nicht primär zum Wohl der ‚armen’ Frauen, sondern notwendig für die Republik, für die Verteidigung von etwas Grösserem.

Extrem widersprüchlich wird Badinter, wenn sie über die Emanzipation muslimischer Frauen sagt: „Die Wende muss von innen kommen. Alles, was von aussen kommt, wird die Spaltung der Gesellschaft nur verstärken.“ Sie sagt also selbst: Was von aussen aufgesetzt wird, bringt nicht viel. Warum die Forderung nach Kleidergesetzen dann Sinn machen soll, fragt die Journalistin nicht und wird nicht weiter vertieft. Der grösste Brocken aber ist meines Erachtens jene Redewendung, die wir von Rechtsaussen kennen: „Wir wollen keine Parallelgesellschaften“. Badinter müsste wissen, dass dieses Bild eine leere, breit instrumentalisierbare Hülse ist, denn: Sind die Banlieus in französischen Grossstädten etwa entstanden, weil Zuwanderer_innen unbedingt in diese schmutzigen, verlotterten Vororte ziehen wollten? Oder hat das nicht vielleicht doch mehr mit politischen, gesellschaftlichen und städtebaulichen Prämissen zu tun? Oder mit dem französischen Bildungssystem? Und was ist mit der französischen Elite? Ist das etwa keine Parallelgesellschaft? Kann es sein, dass Soziologinnen ab einer bestimmten Einkommensklasse einfach nicht mehr klar sehen?

Die Journalistin spricht auch die Debatte in der Schweiz an. Unterschlägt aber den wichtigen Unterschied, dass es in der Schweiz kaum Frauen gibt, die sich vollverschleiern. Badinter gibt prompt eine höchst unwissenschaftliche Antwort: „Man braucht doch wirklich nur einen Funken gesunden Menschenverstand, um einzusehen, dass die Burka im Augenblick nicht geht.“ Ich kann mit dieser Antwort so gut wie nichts anfangen. Möchte sie mit dem Bezug auf den gesunden Menschenverstand etwa ernsthaft behaupten, alle Menschen an allen Orten dieser Welt könnten zu dieser Frage aktuell zum selben Schluss kommen? Und wer, wenn nicht eine Soziologin müsste wissen, dass es beinahe nichts gibt, was so sehr abhängig ist von Zeit und Umständen wie der „gesunde Menschenverstand“? Wer, wenn nicht eine Soziologin sollte wissen, dass das, was in einer Gesellschaft spontan von allen ‚gewusst wird’, also der Common Sense, sicher nicht auch zwangsläufig das Beste ist?

Ich habe 1995, 2001 und 2010 im Iran Interviews mit vielen Frauen zu diesem Thema geführt. Mit Frauen, die sich das Kopftuch sofort vom Kopf reissen würden, wenn sie nur könnten. Mit Frauen, die ihren Kopf und alles, was irgendwie an Frau erinnern könnte, bedeckt haben wollen, weil sie das so wollen. Eine dieser Frauen sagte mir, das Verbot, ohne Bedeckung in die Öffentlichkeit zu gehen, sei grundsätzlich falsch und nicht religiös bedingt. Wenn Frauen die Haare verstecken würden, nur weil das ein Gesetz sei, sei dies wie eine Maskerade, das Verbot müsse abgeschafft werden. Aber: Unisono bekam ich auch die Antwort, wir sollten doch bitte endlich aufhören mit dieser Kopftuchfrage. Die Iranerinnen hätten andere Probleme, dieses sei das kleinste. – Heute gibt es viele junge Frauen, vorab in den Grossstädten, die mit diesem Gesetz „spielen“, es bewusst ausreizen und die Sittenpolizei provozieren (siehe auch Parsua Bashi, Briefe aus Teheran, Kein&Aber).

Tatsache ist: 1936 verbot Reza Schah Pahlavi, der Vater des letzten Schahs, den Perserinnen das Tragen des Kopftuchs oder Tschadors – von einem Tag auf den andern. Für viele Frauen war das eine elementare Befreiung. Für tief religiöse Frauen aber kam dieses Verbot einem Hausarrest gleich. Sie wollten oder durften nicht mehr aus dem Haus.  – Nach dem Sturz des Vaters, hob Sohn Mohammad Reza 1941 dieses Verbot auf. Die Frauen konnten herumlaufen, wie sie wollten. Eine Frau sagte mir dazu: „Immer sind es die Männer, die uns vorschreiben, was wir zu tun und zu lassen haben.“

1979 – die Geschichte kennen wir – befiehlt Chomeini die Kopfbedeckung im öffentlichen Raum und den Tschador für Frauen im öffentlichen Dienst. Heute haben sich die Regeln etwas gelockert. Das unsägliche Verbot ist immer noch da, aber wer den Iran bereist, sieht, wie in den Grossstädten Frauen sich mit sehr viel Kreativität um Verbote foutieren und die Sittenpolizei gerne provozieren. Wer weiter in die Berge reist, wird auf Stämme treffen, wo einem Frauen stolz entgegentreten, mit ihren dunklen, langen, offen Haaren. Stämme, wie die Kashgai, die sich all die Jahre einen Deut um die Verbote der Regierung in Teheran kümmern.

Das heisst nicht, dass alles gut ist, mitnichten. Die menschenrechtliche Situation ist zuweilen prekär. Aber es zeigt: die Menschen und insbesondere die Frauen aus dem Mittleren Osten sind nicht nur arme, dumme, unterdrückte Wesen. Viele kämpfen an allen möglichen Fronten für ihre Rechte und für die Menschenrechte.

Dies führt mich zurück zur Situation und Debatte in der Schweiz. Das Interview mit Badinter trägt nicht zur Aufhellung ungeklärter Fragen bei, alles wurde schon genau so zum wiederholten Mal gesagt. Auch der hundertste Versuch, das Thema aus der rechten Ecke zu holen, lässt die entscheidende Frage ausser Acht: Kann es der richtige Weg sein, Frauen vorzuschreiben, was sie tragen oder nicht tragen sollen? Ich bin der Meinung: Nein. Frauen sollen selber entscheiden, was sie wollen. Niemand hat ihnen vorzuschreiben, was sie zu tun haben. Ihre Ehemänner nicht. Und schon gar nicht die PolitikerInnen. Kleidervorschriften für Frauen zu erlassen, ist mehr als ein Ritzen an Grundrechten. Ein Verbot wäre ein enormer Rückschritt.

Wichtig ist mir in diesem Zusammenhang auch die Haltung der Organisation humanrights.ch. Sie schrieb Mitte August: „Doch die Pointe ist, dass es bei dieser Volksinitiative gar nicht um die Sache geht, sondern um die Inszenierung einer emotional aufgeladenen politischen Auseinandersetzung im öffentlichen Raum. Deshalb ist das wichtigste Argument gegen die Volksinitiative zum Verhüllungsverbot nicht sachlicher, sondern politischer Natur: Weil zu dieser an sich unwichtigen Frage im Rahmen des Abstimmungskampfes eine grosse öffentliche Debatte laufen wird, ist das politische Drehbuch klar: Jene politischen Kräfte, die ihre Popularität teilweise der Angstmacherei vor „dem Fremden“ verdanken, werden sich diese Chance nicht entgehen lassen, um die muslimfeindliche Stimmung im Lande weiter anzuheizen. Die Vorlage wird dann als Symbol für eine Haltung dienen, die das Land weiter entzweit.“

Die Entzweiung ist leider in vollem Gang. Aber jede und jeder, die_der das immer gleiche Argument hochhält, sie_er möchte dem Gegenüber ins Gesicht schauen können, empfehle ich, wieder einmal Tram oder Bus zu fahren, durch die Strassen zu laufen und zu schauen, wieviele Menschen einem ins Gesicht schauen.

Die einen mögen einen Schleier aus Stoff tragen, der ihnen die klare Sicht trübt, die anderen tragen aber offenbar einen Schleier der Verblendung. Hört also auf mit diesem Klamauk. Und wenn – dies habe ich von einem Facebook-Kollegen gestohlen: „Und wenn ihr über ein Stück Stoff streiten wollt, dann nicht über Frauen in Burkas, sondern über Men in Suits!“

Charlotte Heer Grau, (Jg. 1954) ist Publizistin in Zürich.

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3 Kommentare

  1. Gabriele Boos-Niazy sagt:

    Gerade vorgestern in Berlin wurde ich mit dem gleichen Vorwurf der „Demonstration“ konfrontiert. (Wenn Kopftuchträgerinnen keine Opfer sind, dann müssen sie Täterinnen sein) Meine Sitznachbarin im Bus stellte mir zuerst ein paar (absurde) Aufwärmfragen zum Kopftuch (die erste war: welchem Orden gehören Sie denn an?, die zweite: dürfen Sie denn ein weißes Kopftuch tragen?) um dann mehrmals hintereinander rigoros zu verlangen, ich solle doch bitte zugeben, dass ich das Kopftuch ausschließlich deshalb trage, weil ich meine Religion nach außen demonstrieren möchte, anderen aufdrängen will. Das habe auch am letzten Wochenende ein muslimischer Experte (den Namen wusste sie nicht mehr) in der faz geschrieben. Als ich sagte, dass das nicht meine Motivation sei, ich aber nichts daran ändern könne, dass das Tuch sichtbar ist und ein unsichtbares, das seinen Zweck erfülle, noch nicht erfunden sei, wurde sie ärgerlich. Sie beharrte darauf, ich dürfe das Tuch gerne tragen (sie ist schließlich tolerant), solle aber doch endlich zugeben, dass ich damit etwas demonstrieren wolle. Und wenn ich das nicht zugeben würde, dann läge das nur daran, dass ich nicht in der Lage sei (sprich: gehirngewaschen), das zu erkennen. Sie wisse das deshalb, weil sie sich mal mit Psychologie beschäftigt habe. Da ich Sozialwissenschaftlerin bin, fiel mir die Entgegnung nicht schwer. Im Übrigen hielt sie sich für einen Ausbund an Neutralität, weil sie auch den Juden die Kippa verbieten wollte, den Sikhs ihren Turban und auch alle Schmuckkreuze. Schließlich würde es mich doch auch bedrängen, wenn sie jetzt neben mir säße und würde dabei ein Schmuckkreuz (soooo ein großes) tragen… Meine Antwort, dass mich das im Gegenteil freuen würde, weil ich Religion als etwas Positives sehe, hat sie dann endgültig irritiert. Am Ende ging dann alles Durcheinander: die vielen Toten, die der Islam zu verantworten habe (die Frage, ob sie damit die unübersehbare Zahl der Toten der beiden Weltkriege und des Irakkrieges meinte, beantwortete sie mit: man soll nicht zurückschauen), dass das Kopftuch doch gar nicht im Quran erwähnt würde (ohne je auch nur eine Übersetzung gelesen zu haben, vom Originl ganz zu schweigen), dass man doch die Freiheit hochalten müsse (indem man die Freiheit derer, die sie anders nutzen, beschneidet, wie es ihren Vorstellungen entspricht?) usw. Zuletzt dann die dringliche Bitte, ich solle wenigstens zugeben, dass ich genauso gezwungenermaßen das Kopftuch anziehen würde, wie sich sich zum Kämmen zwingt, bevor sie das Haus verlässt und gern gebe sie auch zu, dass sie mit ihrer Pagenfrisur, ihrem T-Shirt (mit Werbung für Rückengymnastik) und ihrer schwarzen Leinenhose von der Stange auch eine Demonstration abgeben. Wenn ich es doch für mein Kopftuch auch endlich zugeben wollte!

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